"Natürliche" Fischbestände

Hier geht es um wichtige Belange wie Naturschutz, sinnvolle Gewässer-Bewirtschaftung, schonender Umgang mit Umwelt und Kreatur, Ärgernisse (Schlagthemen) wie Klein-Wasserkraft & Kormoran und Rechtliches.

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Butenbremer
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"Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Butenbremer »

Liebe Gemeinde,
schon länger beschäftigt mich eine Frage, die eigentlich ein Schonzeitthema wäre, dennoch hoffe ich auf ein paar erhellende Aussagen von den Spezialisten hier. Wenn man in eine Zeit vor der Erfindung von Angelhaken und Stellnetzen zurück reisen könnte (vielleicht 10000 v.Chr.) und dann eines der klassischen mitteleuropäischen Salmonidengewässer, z.B. die Wiesent, aufsuchen würde, welchen Fischbestand würde man dort vorfinden?
Wer wie ich – bedauerlicherweise – erst in diesem Jahrtausend zum Fliegenfischen gekommen ist, darf sich von alten Hasen nicht selten Berichte über die „guten alten Zeiten“ anhören - jeder Wurf ein Fisch, so viele Äschen, dass man den Grund nicht sehen konnte, etc. Man kennt das. Aber selbst, wenn man die Tatsache außen vor lässt, dass die Erinnerung immer mit goldenem Pinsel malt und die dem Anglerlatein implizite Übertreibung herausrechnet, bleibt die Erkenntnis, dass die Fischbestände mal deutlich besser waren, als heute. Über die Ursachen des Niedergangs möchte ich hier nicht spekulieren – mich interessiert eher die Frage, was eigentlich der „natürliche Zustand“ wäre. Es gibt ja Modelle, um die natürliche Reproduktion eines Salmonidengewässers je nach Nahrungsangebot und weiterer Faktoren zu berechnen. Lässt sich daraus auch ableiten, wie ein „natürlicher“ Bestand aussehen würde, wenn es keine menschliche Einwirkung gäbe? Immerhin hätte man dann jede Menge natürlicher Predatoren, ich sage jetzt mal pauschal „Wasservögel“, aber wohl eher die ganzjährig präsenten Otter, die ja heute im Vergleich zum schwarzen Vogel noch einigermaßen selten sind. Würden diese den nicht vorhandenen Befischungsdruck nicht zumindest zum Teil ausgleichen? Die Grundfrage also – hätte ein kleiner deutscher Mittelgebirgsfluss in seinem „natürlichen“ Zustand tatsächlich einen Bestand, den wir als gut bezeichnen würden? Und waren die „goldenen Zeiten“ auf die heute zurückgeblickt wird, nicht auch bedingt durch Bewirtschaftung und die weitgehende Ausrottung natürlicher Fressfeinde? Ich bitte, dies nicht als Provokation zu verstehen und freue mich über erhellende Beiträge.
Beste Grüße
Bernd
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Frank.
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Frank. »

Lieber Bernd,

nur ein paar kleine Details als erste Antwort: Ich habe vor vielen Jahren das Tagebuch eines Anglers geerbt, in dem er alle Fänge eingetragen hat (übrigens samt der verwendeten Fliege, der Tageszeit und der Luft- wie Wassertemperatur); es umfasst die Jahre 1948 bis 1958. Er hat damals die Eder befischt.
Was dort niedergeschrieben steht, ist haarsträubend: Tage mit 10 Forellen jenseits der Kilomarke und ein paar schönen Hechten waren keine Seltenheit.
Auch in meiner Kindheit (ich bin Baujahr 1958) haben wir deutlich mehr und durchschnittlich deutlich größere Salmoniden gefangen, zum Beispiel in der Werra und der Leine. Ja, und Äschen gab es tatsächlich in Massen. Aale? In heute undenkbarer Menge und Größe.

Allerdings konnte man viele dieser Fische nicht essen. Ihr Geschmack war oft ausgesprochen ekelhaft. Und die großen Aale hatten oft noch größere Geschwulste. Kein Wunder, denn das starke Wachstum damals war - genau wie die vielen Fischkrankheiten – vor allem der Tatsache geschuldet, dass alle paar hundert Meter ungeklärte Fäkalabwässer in die Flüsse liefen.

Mit der raschen Verbesserung der Gewässerqualität in den letzten Jahrzehnten nahmen die Bestände und die Durchschnittsgröße ab. Dafür kann man jetzt aber auch jeden Fisch essen.

Die enorme Gewässerverschmutzung im Mittelalter und den Jahrhunderten zuvor mag man sich heute gar nicht vorstellen. ALLE Arten von Abwässern wurden eingeleitet, und vor allem die Gerbereien brachten verheerende Zustände an den Fließgewässern mit sich. Vielerorts durften sie nur am flussabwärts gelegenen Ende der Städte ihre Arbeit verrichten, weil sie die Gewässer so fürchterlich verpesteten. Aber die Forellen - die wuchsen damals zu wahren Ungeheuern heran.

Also, wer immer mir mit der "guten alten Zeit" kommt, der muss sich von mir ein "Geh bloß los, du mit deiner blöden guten alten Zeit" anhören …

Dein Frank
Das sind Deine Beobachtungen, mein Lieber, andere haben andere Beobachtungen gemacht.
Franz Kafka
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Zweihandwedler »

Interessante Frage,hatte ich mir auch schon öfter vorgestellt mit der Zeitmaschiene zum Gewässer zu fahren.Der Kormoran hat in jüngster vergangenheit viel verändert.Der Otter ist aber aus Fischersicht auch nicht zu unrecht ausgerottet worden,es gab viele Hungersnöte da war alles Essbar oder Feind. Im Blimker stand einmal ein Bericht nachdem nach dem 30 Jährigen Krieg jeder Fischwilderer an ort und Stelle erhängt wurde-da es kaum noch Fische gab.
Andererseit haben schon die Römer Fische quer durchs Reich transportiert-also Faunenverfälschung gab es schon damals.Max von Borne hat im Deutschen Verein zur Verschönerung der Gewässer Regenbogenforellen,Forellenbarsche,Katzenwelse und diverse Sonnenbarsche eingeführt.
Dann gab es noch fleissige Kanalbauer die diverse Flüsse verbanden und eine Artwanderung durch die Flüsse ermöglichten.Also einen Natürlichen Bestand zu finden wird scher :twisted:
MFG
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Siegfried.
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Siegfried. »

Hallo Bernd,
die Frage ist tatsächlich wohl nur mit einem sehr langen Ausholer zu beantworten. Wie man aber an noch halbwegs natürlichen Gewässern in abgelegenen Weltgegenden bis vor kurzem noch sehen konnte (z.B. Kamtschatka) und z.B. beim Vordringen der weißen Siedler in Nordamerika akribisch dokumentiert wurde (u.a. mit Frachtlisten in die Städte gelieferter Fische) quellen natürliche Gewässer auch unter dem Einfluss der coevoluierten Räuber, nicht aber fremder wie dem (Binnen)Kormoran, regelrecht über vor Leben. Insofern sehe ich das von dir beschriebene Phänomen der früheren Goldenen Zeiten auch komplett anders herum. Ich zitiere da mal das Motto von Clemens (Rattensack) hier aus dem Forum, weil ich das nicht besser beschreiben kann:

A curious thing happens when fish stocks decline: People who aren't aware of the old levels accept the new ones as normal. Over generations, societies adjust expectations downward .. (Kennedy Warne)

Ich habe nämlich in meinem Leben die Entwicklung von leeren (wg. Verschmutzung), zu für die jüngeren nicht mehr vorstellbar dicht besiedelten, wieder zurück zu fast leeren (wg. Kormoran) Gewässern miterleben müssen, gehöre mithin zu den von dir bespöttelten Erzählern von goldenen Zeiten, dabei habe ich wohl nur einen ganz leichten Glanz sehen dürfen und gebe gern zu, dass ich in Phase 1 auch über die Altvorderen geschmunzelt habe vor Unglauben :oops: .

Glück Auf
Siegfried

@ Frank bei der mittelalterlichen Gewässerverschmutzung muss ich dir leider komplett widersprechen. Die betraf v.a. die Städte selbst die wirklich zum Himmel stanken und im Dreck versanken (ich sage nur: garde l´eau) aber nur marginal die Gewässer, da man die römische Kanalisation schlicht wieder vergessen hatte, sogar in Köln, obwohl sie funktionstüchtig "im Keller" lag. Fäkalabwässer gab es deshalb überhaupt nicht. Im Gegenteil beschäftigte sich die unterste soziale Schicht sehr intensiv damit, die Fäkalien als gesuchten Dünger auf die Felder vor die Städte zu bringen. Punktuelle Probleme bereiteten tatsächlich fast ausschließlich die Gerber. Im Gegenteil war das Mittelalter bis zur Erfindung des Kunstdüngers von einem dramatischen Nährstoff- und Fruchbarkeitsverlust aller Lebensräume einschließlich der Gewässer geprägt. Also nix mit dickien Forellen von Abfällen. Essensreste oder Schlacht"abfälle" sind neuzeitliche Erfindungen. Die von dir beschriebene Zustände beginnen erst im 18. Jahrhundert und steigen mit nur kurzen Abschwüngen bis in die 1960er Jahre immer weiter an.

Mit dem Thema (Durchschnitts)Größe der Fisch fange ich lieber erst gar nicht an, das ufert sonst im wahrsten Sinne des Wortes nur aus, aber so einfach wie von dir postuliert ist es jedenfalls ebenfalls nicht.
Fische sind zu schöne Geschöpfe um nur einmal bewundert zu werden
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AlexX!!
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von AlexX!! »

Hi zusammen,

wir haben vor ein Paar Jahren ein ca 600m Stück Bach zu unserer Pacht dazubekommen,
das Stück war vorher privat verpachtet, vom Pächter aber nicht wirklich genutzt worden.

kurze Rede, nach den ersten Fischgängen dort überschlugen sich die Fangmeldungen,
volle Gumpen mit reichlich Dickfisch, in uns unbekannter Dichte, nur ein Steinwurf
von unserer "alten" Strecke entfernt :)

Grüße
Alex
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webwood
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von webwood »

Die Eingangsfrage war, wie es bis vor vieleicht 10.000 v.Chr. mit dem Fischbestand aussah.

Ob Archeologen weiterhelfen können? In Abfallgruben von menschlichen Siedlungen sind vieleicht auch Knochenfunde von Fischen gefunden worden.
So könnte man vieleicht die Häufigkeit von Fisch auf dem Speiseplan und evtl. auch die Größe/Art der Fische ermitteln.

In einem Kelten-Museum (Pfulingen-Bodensee) habe ich mal eine Gußform für einen Angelhaken. (Bronzezeit war natürlich viel später) gesehen.
Wenn die Haken nicht speziell für Wels gegossen wurden, muss es seinerzeit verdammt große Fische gegeben haben, oder die Gußform war ein Gimmik für Touristen.

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Thomas
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Butenbremer »

Das Datum 10.000 BC habe ich deshalb gewählt, weil nach einer oberflächlichen Recherche in diese Zeit etwa die "Erfindung" von Netzen und Angelhaken fällt - soweit man diese archäologisch nachweisen kann. Davor bleibt allerdings auch nicht viel Zeit, weil um 12.000 BC erst die letzte Kaltzeit in Mitteleuropa zuende ging. Also würde ich mal vermuten, dass nach dem zurückweichenden Eis und der Besiedlung der Fließgewässer auch bald die Menschen nachkamen und sich die Nahrungsquellen zunutze gemacht haben. Ist ja eigentlich auch logisch, da Fisch mit den richtigen Mitteln vergleichsweise einfach und risikolos zu erbeuten ist und eine prima Eiweißquelle darstellt. Es gibt sogar Theorien, dass der Mensch ohne den Konsum von Fisch gar nicht so ein leistungsfähiges Gehirn hätte entwickeln können - da ging es aber wohl eher um Meeresfisch.
@ Thomas - ich vermute, dass die gefundenen Angelhaken deswegen so groß sind, weil die kleineren und filigraneren sich nicht erhalten haben. Ich kann mir z.B. vorstellen, dass man aus Dornen welche hergestellt hat. Dennoch muss es natürlich einen Bedarf für die großen gegeben haben - für Welse und Hechte nehme ich mal an.

Und noch mal eine steile These -ist es nicht so, dass die "guten" Fischbestände sich heute hauptsächlich so weit nördlich befinden, dass das sie große Teile das Jahres durch Eis vor Fressfeinden geschützt sind? Es bleibt die Frage nach dem Fischbestand in gemäßigten Zonen. Was Nordamerika angeht - ich glaube vor den Fischern kamen die Pelztierjäger :mrgreen:
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Bernhard »

Hallo Bernd!

Dieses interessante Thema würde sich wirklich für die Schonzeit anbieten, wollte man es von allen Seiten hinreichend beleuchten.

Ein paar Gedanken in aller Kürze:
Man muss sich zuallererst den natürlichen Zustand unserer Fließgewässer vor Augen halten. Von natürlichen Barrieren (wahrscheinlich existierten einige heutige vor 10.000 Jahren noch gar nicht) abgesehen, war das gesamte Gewässersystem fischdurchgängig, d. h. stromauf und stromab gerichtete Wanderungen im Gewässersystem, wie etwa eine rasche (Wieder-)besiedelung z. B. nach Extremereignissen, waren möglich.
Die Gewässer waren gänzlich unreguliert, es gab eine Fülle unterschiedlichster (Teil-)lebensräume: seicht überströmte Furten (wichtige Laichplätze),Kolke, Tiefenrinnen, Schotterbänke, Totarme, Altwasser... all das waren Garanten für eine hohe Produktivität.
Die Gewässer waren von einer hohen Dynamik geprägt. Die Fischbestände dürften ebenfalls großen Populationsschwankungen unterlegen sein. Sicherlich gab es auch schon vor 10.000 Jahren lokal Bestandeseinbrüche, z. B. durch extreme Hochwasserereignisse, Raubdruck aus der Luft (fischfressende Vögel), zu Wasser (z. B. Fischotter) oder vom Land (z. B. Braunbär). Das Gewässersystem war aber durch die bereits erwähnten Bedingungen gegenüber diesen Ereignissen gut abgepuffert.

Es spielt weiters eine Rolle, welche Art von Salmonidengewässer man betrachtet. Der Bogen spannt sich vom Heideflüsschen über den Mittelgebirgsbach bis hin zum reißenden Hochgebirgsbach. Das alles muss man differenziert betrachten und hinsichtlich der Habitat- und Nahrungsbedingungen separat analysieren. Aber darüber könnte man stundenlang philosophieren.


TL,
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Frank.
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Frank. »

Siegfried. hat geschrieben:Schlacht"abfälle" sind neuzeitliche Erfindungen
Hmm, lieber Siegfried - ich erinnere mich freilich sehr genau an die Transkription einer mittelalterlichen Urkunde, die ich in meinem Mediavistik-Studium mal zu erledigen hatte. Darin war sehr "umbständlich" und ausführlich davon die Rede, dass Schlachtabfälle und tote Haustiere geradezu massenhaft in einen Fluss wanderten; die örtlichen Fischer hatten sich heftig darüber beschwert, dass die vielen Kadaver ihnen das Netzstellen unmöglich machten. Irgendwo müsste ich das sogar noch in einem historischen Aktenordner haben - wenn ich's finde, mache ich einen Scan.
Auch sonst haben wir im Studium in den Lehrbücher oftmals von der katastrophalen Verschmutzung der Gewässer in vielen Landstrichen lesen müssen, etwa im Tenor wie hier, da oder dort. Aber das waren natürlich geisteswissenschaftlich orientierte Bücher. Mag sein, dass es mittlerweile einen neueren Forschungsstand gibt.

Dein Frank
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Maggov »

Butenbremer hat geschrieben:... Über die Ursachen des Niedergangs möchte ich hier nicht spekulieren – mich interessiert eher die Frage, was eigentlich der „natürliche Zustand“ wäre. Es gibt ja Modelle, um die natürliche Reproduktion eines Salmonidengewässers je nach Nahrungsangebot und weiterer Faktoren zu berechnen. Lässt sich daraus auch ableiten, wie ein „natürlicher“ Bestand aussehen würde, wenn es keine menschliche Einwirkung gäbe? Immerhin hätte man dann jede Menge natürlicher Predatoren, ich sage jetzt mal pauschal „Wasservögel“, aber wohl eher die ganzjährig präsenten Otter, die ja heute im Vergleich zum schwarzen Vogel noch einigermaßen selten sind. Würden diese den nicht vorhandenen Befischungsdruck nicht zumindest zum Teil ausgleichen? Die Grundfrage also – hätte ein kleiner deutscher Mittelgebirgsfluss in seinem „natürlichen“ Zustand tatsächlich einen Bestand, den wir als gut bezeichnen würden? Und waren die „goldenen Zeiten“ auf die heute zurückgeblickt wird, nicht auch bedingt durch Bewirtschaftung und die weitgehende Ausrottung natürlicher Fressfeinde? Ich bitte, dies nicht als Provokation zu verstehen und freue mich über erhellende Beiträge.
Beste Grüße
Bernd
Hallo Bernd,

für mich sind Gewässer nicht nur hinsichtlich der Struktur sondern auch historisch individuelle Fälle. Ohne das jetzt fundiert recherchiert zu haben gab es zu jeder Zeit Flüsse die bessere Fischbestände hatten als andere. Die Einflußfaktoren mögen vielfältiger geworden sein, aber doch auch an jedem Wasser anders gelagert. Ich denke im Konzept lassen sich durchaus gute Modelle für einzelne Gewässer gestalten (niemand hindert Dich Fischräuber (tierisch oder menschlich) ein zu planen) aber die Messungen um das Modell zu füttern sind sehr schwierig und aufwendig.

Dann stellt sich die Frage was man unter "gut" und "natürlich" versteht.
Ich finde die Bestandszusammensetzung ist ein guter Indikator für natürliche Bestände. Wenn ich einen natürlichen Bestandsaufbau nehme sollte es mehr Jung- als Altfische geben denn für mich bedeutet "natürlich" auch dass der Bestand selbsterhaltend ist. Einen "Guten" Bestand an "natürlichen" Fischen würde ich dann sehen wenn ich sehr viele Fische mit einem natürlichen Bestandsaufbau vorfinde. Was das Potential betrifft so bin ich davon überzeugt dass die Natur das selbst voll ausreizt. Ob das immer in meinem Sinn als Fischer ist sei mal dahingestellt. Mit der Rute lassen sich diese Erhebungen m.M. nach auch nicht sauber durchführen. Da muss man schon zu effizienzteren Methoden wie Netzen oder E-Geräten greifen.
Butenbremer hat geschrieben: Die Grundfrage also – hätte ein kleiner deutscher Mittelgebirgsfluss in seinem „natürlichen“ Zustand tatsächlich einen Bestand, den wir als gut bezeichnen würden? Und waren die „goldenen Zeiten“ auf die heute zurückgeblickt wird, nicht auch bedingt durch Bewirtschaftung und die weitgehende Ausrottung natürlicher Fressfeinde? Ich bitte, dies nicht als Provokation zu verstehen und freue mich über erhellende Beiträge.
Beste Grüße
Bernd
Ich denke dass sich Fressfeinde und Fischer nicht 1:1 austauschen lassen und deshalb ein zusätzlicher Druck auf die Bestände durch Fischer entsteht. Zudem nimmt der menschliche Befischungsdruck nicht genau in dem Maße ab wie es eine Katastrophe wie z.B. einen Kormoraneinfall notwendig wäre. Deshalb würde ich vermutlich einen für meine Verhältnisse "guten" Bestand vorfinden wenn ich als erster Mensch auf diesen Fluß treffen würde. Ähnliches können Fischer auch heute berichten wenn sie Gelegenheit haben an Gewässern zu fischen an denen kaum oder kein Befischungsdruck für einige Jahre bestand.

LG

Markus
Reflection is a broad deep and quiet pool into which the stream of an angler's thought opens out from time to time.
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Royal Coachman »

Hallo Freunde!

Ich habe die "goldenen Zeiten" erleben dürfen und teilweise in einigen Gewässern noch bis ins Jahr 2000 sensationelle Bestände befischt. Einige Freunde können das bestätigen, die bei mir waren.

Aber in den 50/60iger Jahren waren auch viel weniger Fischer, man war Exote und als Fliegenfischer sowieso.
Überdies haben sich die Fanggeräte in geradezu unheimlicher Weise verbessert, wenn ich z.B. nur an die Vorfächer denke.
Heute hält ein 16er 2,3 kg da brauchte man früher schon ein 20iger oder gar 22iger.

Die Formel aus mehr Fischer und bessere Gerätschaften ist für unsere Salmonidenbestände sicher nicht förderlich.

Aber auch damals sind wir u.U. Schneider nach Hause gekommen und Massenfänge, wie sie heutzutage bei Besatzfischen vorkommen, waren selten, denn die Fische waren überaus scheu. Gerne erinnere ich mich eines Fischtages anno 1996 mit einem sehr bekannten Guide an der Kaisertraun. Erst gegen 18 Uhr konnten wir gerade noch binnen 20 Minuten zwei Äschen landen, dann war endgültig Pause oder 1995 am Inn bei bestem Wetter von 9 Uhr bis 13 Uhr 20 keinen Biss, dann 30 Minuten solunare Beißzeit und dann "Fischen in der Badewanne", auch kein Abendsprung!

Wer "Erlebtes Fliegenfischen" von Charles Ritz gelesen hat, erinnert sich sicherlich an das Kapitel, in dem ein Fischtag beschrieben wurde, an dem die Gurus trotz intensivster Anstrengungen kaum etwas fingen.
Es bleiben uns halt fast ausschließlich die Sternstunden im Gedächtnis, die Mißerfolge vergisst man leicht.

tihgt lines
RC
PS: in Privatgewässern mit stark eingeschränkter Fischerei gibt es auch heutzutage noch Bestände, von denen man vorsichtshalber nichts erzählt.
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Gammarus roeseli
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Gammarus roeseli »

PS: in Privatgewässern mit stark eingeschränkter Fischerei gibt es auch heutzutage noch Bestände, von denen man vorsichtshalber nichts erzählt.
Ich kenne aber auch reichlich Privatgewässer, die nahezu fischlehr sind weil der Privatbesitzer einfach nichts von Fisch und dessen Bedürfnissen versteht!!

Hallo,

es gibt keine vom Menschen unbeeinträchtigten Gewässer mehr in Europa, daher kann es auch keine natürlichen Fischbestände mehr geben. Wir könnten daher höchstens noch von einigermaßen naturnahen Fischbeständen sprechen.

Die Fischbestände haben sich stark reduziert, weil sich durch und in unserer Kulturlandschaft die für Fische nutzbare Biomasse stark reduziert hat!!
Nehmen wir als Beispiel mal die Wiesent (vielleicht 10000 v.Chr.).
Es fehlt heutzutage in Flüssen der Forellen und Äschenregion wie der Wiesent durch z.B. Wanderhindernisse der Eintrag von (tonnenweise) Biomasse aus dem Meer und unteren Flussregionen. Wo kommt den Biomassen aus dem Meer und unteren Flussregionen in Form von Fischlaich der Lachse, Meerforellen, Maifisch und Barbe, Nase, Quappe usw. heutzutage noch in den Forellen und Äschenregionen an??
Wer schon mal beobachtet hat, wie sich die Bachforellen mit abdriftenden Fischeiern von (zur Laichzeit) eingewanderten kieslaichenden Weißfischen den Bauch bis zum Zerreißen vollschlagen, der weiß wovon ich rede.

Man weiß z.B. aus Amerika, dass seit dem Verschwinden von Lachs durch Wanderhindernisse wie Staudämme und somit fehlender Biomasse (verendete und angespülte Lachse) aus dem Meer, sogar der Wald (Flussnähe) in den Flussoberläufen die Nährstoffe ausgehen.

Dann fehlt es auch an der Biomasse im Fluss (Fischnährtiere und Fischbrut) aus den Flussauen und Altwässern weil es kaum noch welche gibt…

Die Gehölze an den Bach- Flussufern fehlen oft und schattenspendende, weit überhängende Weiden wurden oft durch viel weniger schattenspendende Fichtenmonokulturen ersetzt. Mangelnde Beschattung wirkt sich viel stärker auf die Wassertemperatur (mit Sauerstoffgehalt im Wasser) und somit Artenzusammensetzung (vorkommende Insekten, Fische, Wasserpflanzen, …) und den Energieverbrauch (Fischwachstum, Fischgröße, Fischgewicht usw.) der Fische aus, als den meisten von uns auch nur annährend bewusst ist!

Die Umlandnutzung (auch Wirtschaftswälder) bis an die Bach- Flussufer, bringt die Versandung und Verschlammung (bei der Wiesent durch Verschlammung aus Kreide- Kalkschlamm) der Flüsse und Bäche mit sich. Wir haben nahezu überall einen starken Rückgang an Fischnährtieren, weil die Habitate der Fischnährtiere (Kieslückensystem) versandet oder verschlammt sind.
An einem kleinem Fluss der eher sehr arm an Fischnährtieren ist (weil das Kieslückensystem versandeten und mit Kreide- Kalkschlamm verfüllten ist) haben wir mal Kieslaichplätze mittels Kiesschüttungen neu angelegt. In dem momentan noch intakten Kieslückensystem, haben sich mittlerweile so viele Fischnährtiere (Insektenlarven, Flohkrebse, …) angesiedelt, dass wenn wir diese Fischnährtiere aus dem Kies schaufeln würden, damit die Sauen großfüttern könnten!!

In stark begradigten Alpenbächen- Flüssen, kommt es bei schweren Hochwasserereignissen (oder Schwall/Sunk-Betrieb) oft zu starker Geschiebeführung. Ganze Koppenpopulationen (wichtige Futterfische von Raubforellen) sind bei starker Geschiebeführung schon ausgelöscht worden. Durch Hochwasserereignisse mit starker Geschiebeführung, kommt es auch oft zum verdriften und somit Verlust der Fischnährtiere und schon wieder hat sich die für Fische nutzbare Biomasse stark reduziert…

In der Fischzucht spricht man bei der Bachforelle davon, dass wenn der Dottersack bei der Bachforellenbrut nahezu aufgebraucht ist, die Bachforellenbrut beginnt Nahrung aufzunehmen. Versäumt der Fischzüchter genau diesen Zeitpunkt und unterlässt bzw. beginnt die Anfütterung zu einem späteren Zeitpunkt, so fangen vor allem die Bachforellen vielfach überhaupt nicht mehr an zu fressen!! Sie verweigern einfach die Futteraufnahme zu einen späteren Zeitpunkt und sterben nach kurzer Zeit ab. Diese Erscheinung ist bei der Regenbogenforelle viel weniger zu beobachten meinen Fischzüchter.

Meine Theorie ist daher, dass es in den Bächen und Flüssen im Alpenraum deutlich mehr Regenbogenforellen als Bachforellen gibt hängt mit der Verringerung der Biomasse (für die Bachforellenbrut nutzbare Fischnährtiere nach Aufzehrung des Dottersackes) zusammen! Das die Biomasse (Insektenlarven) in den Flüssen mit starker Geschiebeführung oft sehr klein ist, erkennt man sehr gut beim Steine umdrehen.

Durch diese Verringerung der natürlichen Biomasse (Fischnährtiere, Futterfische usw.) in den Bächen und Flüssen, kann es halt auch keine wirklich guten Fischbestände mehr geben …

LG
Christian
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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Royal Coachman »

Hallo Freunde!

Christian hat ja in einigem Recht, aber daß Geschiebemengen für das Insektenaufkommen schlecht wären, ist grundsätzlich falsch. Gerade große Geschiebemangen fördern das Aufkommen von Nymphen, da der Boden nicht versintern oder verschlammen kann.

Es spielt keine Rolle wenn der Grund umgewälzt wird, die Nymphen sind trotzdem in großer Zahl vorhanden.

Ich hänge noch ein Bild an, dieser Fluss wechselt mehrmals jährlich sein Bett und trotzdem gibt es ein großes, vielfältiges Insektenaufkommen.

Bild

Bild

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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Gammarus roeseli »

Royal Coachman hat geschrieben: Christian hat ja in einigem Recht, aber daß Geschiebemengen für das Insektenaufkommen schlecht wären, ist grundsätzlich falsch. Gerade große Geschiebemangen fördern das Aufkommen von Nymphen, da der Boden nicht versintern oder verschlammen kann.
Ist völlig korrekt lieber RC, aber (!) bzw. daher sprach ich ja auch von "stark begradigten Alpenbächen- Flüssen".

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Re: "Natürliche" Fischbestände

Beitrag von Bernhard »

Gammarus roeseli hat geschrieben:In der Fischzucht spricht man bei der Bachforelle davon, dass wenn der Dottersack bei der Bachforellenbrut nahezu aufgebraucht ist, die Bachforellenbrut beginnt Nahrung aufzunehmen. Versäumt der Fischzüchter genau diesen Zeitpunkt und unterlässt bzw. beginnt die Anfütterung zu einem späteren Zeitpunkt, so fangen vor allem die Bachforellen vielfach überhaupt nicht mehr an zu fressen!! Sie verweigern einfach die Futteraufnahme zu einen späteren Zeitpunkt und sterben nach kurzer Zeit ab. Diese Erscheinung ist bei der Regenbogenforelle viel weniger zu beobachten meinen Fischzüchter.
Lieber Christian!
Diese Meinung halte ich für sehr gewagt. Es ist richtig, dass Bachforellen in der Aufzucht heikler sind als Regenbogenforellen. Wenn sie allerdings das Futter verweigern, dann könnte das genauso gut am verabreichten Futter liegen. Während sich Regenbogenforellenbrütlinge problemlos mit handelsüblichen Trockenfuttermitteln aufziehen lassen, wird bei der Bachforelle eine An- oder zumindest Zufütterung mit Lebendfutter (z. B. Lebendplankton, Artemia) empfohlen. Dieser Aufwand lohnt sich auch bei anderen heimischen Salmoniden, z. B. der Äsche.
Gammarus roeseli hat geschrieben:Meine Theorie ist daher, dass es in den Bächen und Flüssen im Alpenraum deutlich mehr Regenbogenforellen als Bachforellen gibt hängt mit der Verringerung der Biomasse (für die Bachforellenbrut nutzbare Fischnährtiere nach Aufzehrung des Dottersackes) zusammen!
Das halte ich auch für sehr gewagt. Wenn heute die Regenbogenforelle im Alpenraum dominant in Erscheinung tritt, dann hängt das in erster Linie mit massiven Besatzmaßnahmen zusammen. Von einer Verringerung der Biomasse wären ja Bachforellen- und Regenbogenforellen(brütlinge) in gleicher Weise betroffen. Allenfalls könnte man über vermeintliche Konkurrenzphänomene oder eine bessere Anpassung der Regenbogenforelle an naturferne Gewässersysteme diskutieren.

TL,
Bernhard
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