Kormoran-neue wissentschaftliche Erkenntnisse

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stillwater
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Kormoran-neue wissentschaftliche Erkenntnisse

Beitrag von stillwater »

In dem Artikel „WRRL-Qualitätsindikator Fischfauna und Kormoranfraßdruck – wenn trophische Störung Strukturgüte schlägt" in der Zeitschrift „Korrespondenz Wasserwirtschaft" (Ausgabe 12/2015) der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft macht Manfred Fetthauer zusammen mit den Biologen Lothar Jörgensen (Obere Fischereibehörde), Florian Krau (Institut für Seefischerei, Hamburg) und Jörg Schneider (BFS-Frankfurt) auf den Fraßdruck aufmerksam, den der Kormoran auf Fließgewässer wie Nister und Ahr ausübt.
WRRL-Qualitätsindikator Fischfauna und Kormoranfraßdruck – wenn trophische Störung Strukturgüte schlägt
http://www.argenister.de/wp-content/upl ... 3%A4gt.pdf
Die Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) (2000/60/EC) hat zum Ziel, die Oberflächenwasserkörper bis 2015 in einen guten
ökologischen Zustand zu überführen. Als biologische Qualitätskomponenten fungieren Indikatororganismen wie Makrozoobenthos
und Fische. In einem Turnus von fünf Jahren werden die Fischbestände hinsichtlich Artenreichtum, Alterszusammensetzung
und Dichte erhoben und bewertet. Dabei kann es in Gewässern oder Gewässerstrecken, die einem erheblichen Fraßdruck durch den Kormoran (Phalacrocorax carbo sinensis) unterliegen, trotz guter Gewässermorphologie und Gewässergüte zu einem erheblichen Abweichen von der gewässertypspezifischen natürlichen Fischartengemeinschaft und damit zu einer zu schlechten Bewertung kommen. Außerdem frequentieren Kormorane häufig ungestörte, naturnahe Gewässerabschnitte und meiden urbane Siedlungsbereiche. Dies kann zu paradoxen Ergebnissen bei der Heranziehung fischfaunistischer Daten führen, was anhand
zweier Fallbeispiele (Nister und Ahr; Rheinland-Pfalz) vorgestellt wird. Als Konsequenz ist die Eignung der Fischfauna als valider Indikator in vom Kormoran stark beeinflussten Gewässern generell in Frage zu stellen.
Für den Kormoran besteht aufgrund seiner Mobilität, seiner opportunistischen Jagdstrategie und der Tatsache, dass Überwinterungsgebiete
und Brutgebiete räumlich weitgehend entkoppelt sind, keine regulatorische Räuber-Beute-Beziehung zum Fischbestand [4, 7].
Bei sinkender Beutefischdichte zieht im Allgemeinen ein Teil der Kormorane in andere Nahrungsareale, während die verbleibenden Individuen eine Erholung
des übrig gebliebenen Fischbestands ausschließen. Damit können – anders als bei klassischen Räuber-Beute-Beziehungen – Fischbestände mangels Rückkopplung mit dem Jäger zusammenbrechen und Arten regional verschwinden. Teilweise werden Populationen so stark beeinträchtigt, dass ihre Bestandserhaltung auch aus genetischer Sicht nicht gewährleistet ist. Jungfische erreichen vielfach nicht das laichfähige Alter, und größere laichfähige Fische sterben aus. Dass sich zwischen Kormoran und Fischbestand im Rhithral und Epipotamal meist ein gestörtes ökologisches Gleichgewicht einstellt, dürfte auch auf die Diskrepanz zwischen historischer und aktueller Verbreitung zurückzuführen sein.
Historisch beschränkte sich das Vorkommen des Kormorans auf große Flüsse und Seen, als Durchzügler zu den Winterarealen in Südeuropa wurde er nur gelegentlich abseits der großen Ströme verzeichnet [11]. Während Kormorane seit den 1990er Jahren zunehmend in der Äschen- und Barbenregion der Mittelgebirge und Voralpen als Wintergast und/oder als Brutvogel verbreitet sind und in kleineren Trupps bis in die Forellenregion vordringen, liegen diesbezügliche historische Angaben nicht vor. Exemplarisch für das Gebiet des Mittel- und Niederrheins (inkl. Mosel), in dessen Einzugsgebiet die Fallbeispiel-Gewässer Nister (Siegsystem) und Ahr liegen, können die Jahresberichte des Rheinischen Fischerei-Vereins [12] aufgeführt werden. Hier finden sich Aufstellungen sämtlicher „Schädlinge" vom Eisvogel bis zu Enten, Weihen und Milanen, außerdem akribische Auflistungen der Prämien für das Erlegen von Fischottern und Fischreihern sowie das „erfolgreiche Anzeigen von Fischfreveln" – der Kormoran wird nicht erwähnt. Analog dazu wurden beispielsweise im Etatjahr 1892/93 Prämien für den Abschuss von 4419 Fischreihern, jedoch nur einem Kormoran für das Gebiet des preußischen Staatsforsts (Königsberg und Danzig bis Aachen und Koblenz) ausgezahlt [13].
Die in den Fallbeispielen dokumentierten Defizite in der Fischbesiedlung sind ausdrücklich nicht auf strukturelle Defizite zurückzuführen. Die besten fiBS-Bewertungen erhalten die Ortslagen. Die Beeinträchtigungen der Fischfauna sind dort gravierend, wo ein geringes Störungspotenzial gegenüber dem Kormoran besteht. Dies sind die abseits von Siedlungsgebieten gelegenen, strukturreicheren Gewässerstrecken (vgl. Tabelle 1 und Tabelle 5). Für den Nahrungserwerb und Jagderfolg des Kormorans hat dabei die Gewässerstruktur (bspw. Anzahl und Beschaffenheit von Unterständen, Kolken und Totholz) keine besondere Bedeutung [4, 26]. Innerhalb ökomorphologisch und hydraulisch ähnlich ausgestatteter Habitate kann es durch den Fraßdruck zu bedeutenden Unterschieden in der Dichte und Biomasse bestandsbildender Fischarten kommen [17, 27]. Entsprechend kann der Faktor „Kormoranfraßdruck" andere relevante Faktoren wie Gewässergüte und Gewässerstruktur dergestalt überlagern, dass der Zustand der Fischartengemeinschaft seine Indikatorfunktion für eine Bewertung nach WRRL einbüßt. Die nachhaltige Veränderung der Fischartengemeinschaft durch den Kormoran kann dabei u.U. starke trophische Störungen und damit verbundene Defizite bei der Wassergüte nach sich ziehen. Obwohl diese Eutrophierung ihrerseits zu einer weiteren Beeinträchtigung der Fischfauna beiträgt, ist jedoch im Fallbeispiel Nister über die fiBS-Bewertung in Bereichen mit effektiver Kormoranvergrämung noch ein guter ökologischer Zustand belegt worden. Die Fallbeispiele zeigen auf, wie komplex die Wechselwirkungen sein können, die sich innerhalb durch den Kormoran gestörter Fließgewässersysteme ausbilden. Eine gewässertypische Fischartengemeinschaft ist hier nur durch eine effektive und dauerhafte Vergrämung des Kormorans, vor allem in abgelegenen und naturnahen Gewässerabschnitten, wieder herzustellen.
Die Eutrophierung durch Nährstoffeinträge aus Kläranlagen und Landwirtschaft ist ein weiterer Faktor, der eine lebensraumtypische Besiedlung der Gewässer mit Fischen und Makrozoobenthosorganismen negativ beeinflusst. Die Folgen der Eutrophierung bestehen in massenhaftem Wachstum benthischer Algen. Diese Algen verursachen durch ihre Photosyntheseaktivität tagsüber sehr hohe pH-Werte und nachts sehr niedrige Sauerstoffkonzentrationen. Der Eintrag der Biomasse absterbender Algen in
das hyporheische Interstitial kann zu einer Verstopfung führen, die wiederum Sauerstoffdefizite und im pessimalen Fall das Auftreten von fischgiftigem Ammoniak zur Folge haben kann und sich negativ auf die Entwicklung von Fischeiern und Larven auswirkt [19, 20]. In einem eutrophierten Fließgewässer kann das hyporheische Interstitial seine Funktion als Habitat für kieslaichende Fische (Eier, Larven), junge Großmuscheln und Makrozoobenthosorganismen nicht mehr erfüllen und die Funktion der Selbstreinigung ist stark eingeschränkt. Dies führt zu einem Ausfall empfindlicher Arten und damit zu einer schlechten Bewertung nach fiBS. Eine diesbezüglich exemplarische Situation besteht momentan in der rheinland-pfälzischen Nister (Referenztyp 9), wo trotz guter Gewässerstruktur der gute ökologische Zustand nicht erreicht werden konnte. Einbrüche im ursprünglich artenreichen Fischbestand (besonders herbivore und großwüchsige Arten) wurden seit Auftreten des Kormorans 1998 dokumentiert [15, 21, 22]. Seit rund zwölf Jahren wird eine deutliche Verstärkung der Eutrophierungserscheinungen beobachtet, was maßgeblich das Überleben der dortigen Flussperlmuschelbestände und der kieslaichenden Fischarten (Lachs, Forelle, Äsche, Nase, Barbe) gefährdet. Es ist davon auszugehen, dass das hyporheische Interstitial in der Nister aufgrund der massenhaften Algenentwicklung seine ökologische Funktionsfähigkeit bereits weitgehend verloren hat. Die Eutrophierung ist jedoch nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht auf eine Erhöhung der Nährstofffracht (Phosphor, Stickstoff; Auskunft LUWG Rheinland Pfalz), sondern möglicherweise auf eine durch den Kormoranfraßdruck eingeleitete trophische Veränderung zurückzuführen.
So korreliert der Anstieg der Algenbiomasse zeitlich mit dem Rückgang direkter Algenkonsumenten (u. a. Nase, Döbel, Rotauge, Hasel) sowie kiesumlagernder Fischarten (Barbe). Zeitgleich wurde eine massive Expansion der Kleinfischbestände (Groppe, Schmerle, Elritze) festgestellt [15, 23], was gegebenenfalls negative Auswirkungen auf die Bestandssituation der Weidegänger unter den Makrozoobenthosorganismen hat [24]. Damit könnte der Kormoranfraßdruck nicht nur für eine Reduktion der Fischbestände, sondern über die Reduktion der Selbstreinigungskraft und den Niedergang der Konsumentenbestände auch für eine schwere Beeinträchtigung des gesamten Ökosystems (inklusive Gewässergüte) ursächlich sein. Die Implikationen für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie wären entsprechend erheblich.
https://www.uni-koblenz-landau.de/de/ak ... ung-nister
Das Sterben des Flüsschens Nister im Westerwald will die Universität Koblenz-Landau im Rahmen eines Modell- und Demonstrationsvorhabens der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gemeinsam mit freien Biologen und dem örtlichen Gewässerschutzverein, der ARGE Nister e.V., aufhalten. Die Maßnahmen wurden am Mittwoch, 01. Juli 2015 im Dorfgemeinschaftshaus in Stein-Wingert vorgestellt. Doch woran krankt die Nister und welche Lösungsmöglichkeiten sehen die Projektbeteiligten?
Flüsse und Bäche sind vielen schädlichen Einflüssen ausgesetzt. Obwohl Gewässerschutz immer wichtiger wird, sind auch Verschlechterungen der Wasserqualität zu beobachten. So zum Beispiel an der Nister. Der kleine Fluss Nister ist Heimat seltener Tierarten wie Flussperlmuschel, Bachmuschel, Lachs und Äsche. Doch seit einigen Jahren werden die Probleme immer deutlicher. Grüne, schleimige Algenteppiche überziehen das sonst kiesige Bachbett, die Brut der Fische und Muscheln stirbt, die Artenzahlen sinken.
Massenhaftes Algenwachstum, die sogenannte Eutrophierung, wird durch zu hohe Nährstoffeinträge verursacht. Diese Nährstoffe können aus Kläranlagen, aus der Landwirtschaft oder auch aus Ortslagen stammen. Im Einzugsgebiet der Nister wird allerdings heute nicht mehr gedüngt als noch vor ein paar Jahren und auch die Kläranlagen arbeiten besser als früher. Warum beobachten Forscher und Anwohner dann diese deutliche Verschlechterung der Wasserqualität? Das ist vermutlich mit den sehr komplexen und empfindlichen Wechselwirkungen im Ökosystem der Nister zu erklären. Der Bestand an großen und teilweise algenfressenden Fischen ist in den vergangenen Jahren zusammengebrochen, der Kleinfischbestand explodiert. Damit fressen die Großfische keine Algen mehr und die Kleinfische reduzieren die Insektenlarven, die ihrerseits sonst Algen gefressen hätten. Das Ökosystem Nister verändert sich und die Algenmengen nehmen zu, zum Schaden der kieslaichenden Fische und der Biodiversität.
Der Grund für den Zusammenbruch der Großfischbestände ist nach Ansicht der ARGE Nister e.V. der Fraßdruck durch den Kormoran. Seit Ende der 1990er Jahre wuchsen die Bestände dieses Fischfressers auch an der Nister, was durch Untersuchungen der ARGE Nister e.V. im Auftrag der Struktur und Genehmigungsdirektion Nord in Koblenz belegt wurde. Auch Wissenschaftler bestätigen, dass große Bestände von Räubern die Dichte ihrer Beute reduzieren können. Es ist daher leicht vorstellbar, dass durch das hohe Aufkommen der Kormorane die Bestände der Großfische wie Nase, Döbel und Barbe reduziert wurden und dadurch eine für das Gewässer dramatische Kettenreaktion ausgelöst wurde.
Was Gewässerschützer tun können, um den Abwärtstrend an der Nister zu stoppen, soll in einem Modell- und Demonstrationsvorhaben der BLE gezeigt werden. Im Rahmen dieses Projektes kooperieren freiberufliche Biologen mit Wissenschaftlern der Universität Koblenz-Landau und der ARGE Nister e.V, dem örtlichen Gewässerschutzverein und Bachpaten. Ziel des Projektes ist, den Fischbestand in einer Experimentalstrecke wieder aufzubauen und zu zeigen, dass es damit gelingt, die Algenmassenentwicklungen drastisch zu reduzieren und die Gewässerqualität der Nister soweit zu verbessern, dass der Verlust seltener und bedrohter Tierarten verhindert werden kann. Um dies zu beweisen, führen die Projektpartner ein aufwendiges Messprogramm im Kiesbett der Nister durch.
Sollte diese Methode erfolgreich sein, könnte sie auch in anderen Fließgewässern Deutschlands angewendet werden, um Algenmassenentwicklungen zu bekämpfen und die Gewässerqualität zu verbessern.

Ansprechpartnerinnen:
Dr. Carola Winkelmann
Universität Koblenz-Landau
Campus Koblenz
Institut für Integrierte Naturwissenschaften
Universitätsstraße 1
56070 Koblenz


E-Mail: cawinkelmann@uni-koblenz.de
Tel.: 0261 287 2233


Dr. Birgit Förg
Universität Koblenz-Landau
Campus Koblenz
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsstraße 1
56070 Koblenz


E-Mail: foerg@uni-koblenz-landau.de
Tel.: 0261 287 1766


 
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