Akte FF: Unglaubliche Geschichten vom Fliegenfischen
Verfasst: 04.09.2007, 20:21
Liebe Freunde,
gern möchte ich euch ermuntern, hier einmal das zu berichten, was man eigentlich gar nicht zu erzählen wagt – höchstens dann, wenn man mit ein paar Freunden (vielleicht am Stammtisch) zusammensitzt, schon ein paar Bierchen gezwitschert hat und in vielleicht etwas mutiger oder auch sentimentaler Stimmung ist.
Kein Anglerlatein! Nicht die zweihundertdreiundzwanzigste Variante vom GIGANTISCHEN FISCH, den man wahlweise verloren oder eben doch gefangen hat – sondern die kleine, aber eigentlich unglaubliche Geschichte, die viele von uns im Zusammenhang mit dem Fliegenfischen schon erlebt haben.
Das höchst bemerkenswerte Ereignis. Die wundersame oder seltsame Geschichte, bei der …
Ich denke, ihr ahnt, welche Art von Berichten ich meine. Mir sind in dieser Saison ein paar solche Unglaublichkeiten begegnet, die Freunden zugestoßen sind: Bei derjenigen mit dem weißen Vogel war ich Zeuge. Diejenige mit dem seltsamen Inhalt eines Saiblingsmagens ist photographisch und durch Zeugen belegt. Für die mit der „zahmen“ Forelle namens Kuno, die eher ermordet als gefangen wurde, gibt es meines Wissens keine Zeugen – sie ist aber so seltsam, daß man sie sich gar nicht ausdenken könnte.
Wäre das Forum nicht der richtige Ort, solche Ereignisse zu erzählen? An denen alle ihre Freude haben?
Mein Bericht handelt von längst vergangenen Zeiten:
Ich war damals erst ein kleiner Tunichtgut von vielleicht sechs, sieben Jahren, hatte aber meine ersten Plötzen, Brassen und wohl auch kleinen Karpfen längst gefangen, weil mein Vater mir die Angel in die Hand gedrückt hatte, kaum daß ich laufen konnte.
Dann gab es einen schönen Frühlingstag des Jahres 1964 oder 1965, an dem die ganze Familie an einen kleinen Fluß im Vorharz fuhr, um dort einen langen Angeltag zu verbringen. Alles wurde eingepackt: Spinner- und Fliegenruten, auch kräftige Grundangeln, um am Abend und in der Nacht vielleicht noch auf Aal zu gehen. Denn auch ein Zelt war dabei; damals haben wir die Nächte auf den Sonntag oft am Wasser verbracht.
Am Flußufer wurde das Lager aufgeschlagen; Mutter zog sich – wie immer bei solchen Gelegenheiten – mit einer Illustrierten und Strickzeug auf eine Gartenliege am schattigen Ort zurück, Vater schnappte sich die Spinnrute und verschwand stromaufwärts.
Ich hockte eine Zeitlang mit Schwimmer, Wurm und kurzer Rute am Ufer, in der Nähe meiner meist in der Sonne dösenden Mutter.
Es biß nichts, und schnell hatte ich Unsinn im Kopf.
Überhaupt hatte ich an diesem Tag keine rechte Lust zum Fischen und ließ bald die Rute Rute sein; mir stand der Sinn nach echten Abenteuern. Also machte ich mich ans Wegschleichen aus dem Einflußbereich meiner Mutter, auf eine Erkundung der Gegend, um möglichst ein wildes Tier zu erlegen. Bald hatte ich einen Feldhasen gesichtet – aber es fehlte mir an der Waffe, ihn zu erbeuten.
Dazu brauchte ich, das wußte ich aus den vielen Indianerbüchern, die mir vorgelesen worden waren, ganz genau: unbedingt Pfeil und Bogen. Und so machte ich mich stillvergnügt, konzentriert und kreativ ans Basteln dieser Jagdwaffe.
Wie das genau ablief, weiß ich nicht mehr; das Ergebnis – wie seine Vor- und Nachgeschichte – hat mir mein Vater aber später so oft erzählt, daß das Geschehen sich sehr genau rekonstruieren läßt (übrigens dürfte Freund Ulli aus meines Vaters Mund diese Geschichte auch oft genug gehört haben – deshalb mag er hier als Zeuge dafür dienen, daß das Ganze wirklich nicht erfunden ist).
Was auch immer genau ich warum, mit welchem Endziel und unter dem Einfluß welchen Teufels tat: In jedem Fall war es ein schwerer Fehler, meinen Bogen aus einem Stück 35er Aalschnur und dem Mittelstück einer dreiteiligen DAM-Fliegenrute zu basteln, an dessen Enden die Sehne festgebunden wurde.
Als Pfeil die Rutenspitze zu verwenden: Das war Fehler Nummer zwei.
Denn die Waffe war schon dem dritten oder vierten Schußversuch nicht mehr gewachsen. Die Schnur hielt. Das Mittelstück der Rute nicht. Auch der Pfeil hatte schweren Schaden erlitten, weil ein großer Stein als Zielscheibe für die ersten Probeschüsse gedient hatte.
Zum Glück für den Hasen – die Jagdwaffe war erstens untauglich und zweitens schon vor dem ersten Halali kaputt. Und zwar endgültig.
Wie und mit welchen Worten mein Vater das damals kommentiert hat – darüber möge der Mantel des Schweigens gebreitet bleiben; er war jedenfalls den Tränen nahe, und das habe ich bei ihm sehr, sehr selten erlebt.
Wenn später mein Sohn eine meiner heißgeliebten Ruten zu Zahnstochern verarbeitet hätte, wäre es auch mit meiner Gelassenheit am Ende gewesen. Zur Sicherheit habe ich deshalb Flitzebögen immer gemeinsam mit ihm gebastelt, aus Eschenzweigen. Niemals aus Angelruten.
Mein Vater nun beschloß, anstatt mich streng zu bestrafen und für alle Zukunft von den kostbaren Fliegenruten fernzuhalten (wofür ich durchaus Verständnis hätte haben müssen), mich einer pädagogischen Radikalkur zu unterziehen.
Noch am gleichen Tage begann er, mir das Fliegenfischen beizubringen, wohl auch, damit ich die Achtung vor dem Material lernte.
Diese Tage, an denen ich unter seiner Aufsicht die ersten Wurfübungen machte, habe ich nie vergessen; besonders in mein akustisches Gedächtnis haben sie sich tief eingegraben. Es waren immer wieder dieselben Worte, die ich in der tiefen, sonoren Stimme meines Vaters hörte, der eine wahre Engelsgeduld hatte:
»Zehn Uhr … … Ein Uhr …… Zehn Uhr … Nicht peitschen! … Ein Uhr … Und jetzt schießen lassen! Neun Uhr! … Aber nicht peitschen!!!«
»Zehn Uhr … … Ein Uhr …… Zehn Uhr … Nicht peitschen! … Ein Uhr … Schießen lassen! Neun Uhr! … NICHT peitschen, habe ich gesagt!!!«
Diese Worte habe ich an diesem Tag und der kommenden Zeit so oft gehört, als sei mein Vater ein buddhistischer Mönch, der mich sein Mantra lehrte.
Das waren übrigens Übungen ohne Haken und Vorfach, aber am Wasser.
Den ersten Fisch habe ich an der Fliege sicher erst fünf, sechs Jahre später gefangen. Aber das Werfen: das habe ich damals gelernt, habe es lernen müssen, meinen kurzen Ärmchen zum Trotze.
Nein, zum Fliegenfischer bin ich damals durchaus nicht geworden. Ich habe das wirklich als Strafe empfunden, nicht als die mir gewährte Gnade, die es tatsächlich gewesen ist. Freilich habe ich meine kriminelle Energie in der Zukunft niemals mehr an einer Angelrute erprobt.
So, und nun seid ihr dran!
Herzlichst, Frank
gern möchte ich euch ermuntern, hier einmal das zu berichten, was man eigentlich gar nicht zu erzählen wagt – höchstens dann, wenn man mit ein paar Freunden (vielleicht am Stammtisch) zusammensitzt, schon ein paar Bierchen gezwitschert hat und in vielleicht etwas mutiger oder auch sentimentaler Stimmung ist.
Kein Anglerlatein! Nicht die zweihundertdreiundzwanzigste Variante vom GIGANTISCHEN FISCH, den man wahlweise verloren oder eben doch gefangen hat – sondern die kleine, aber eigentlich unglaubliche Geschichte, die viele von uns im Zusammenhang mit dem Fliegenfischen schon erlebt haben.
Das höchst bemerkenswerte Ereignis. Die wundersame oder seltsame Geschichte, bei der …
Ich denke, ihr ahnt, welche Art von Berichten ich meine. Mir sind in dieser Saison ein paar solche Unglaublichkeiten begegnet, die Freunden zugestoßen sind: Bei derjenigen mit dem weißen Vogel war ich Zeuge. Diejenige mit dem seltsamen Inhalt eines Saiblingsmagens ist photographisch und durch Zeugen belegt. Für die mit der „zahmen“ Forelle namens Kuno, die eher ermordet als gefangen wurde, gibt es meines Wissens keine Zeugen – sie ist aber so seltsam, daß man sie sich gar nicht ausdenken könnte.
Wäre das Forum nicht der richtige Ort, solche Ereignisse zu erzählen? An denen alle ihre Freude haben?
Mein Bericht handelt von längst vergangenen Zeiten:
Ich war damals erst ein kleiner Tunichtgut von vielleicht sechs, sieben Jahren, hatte aber meine ersten Plötzen, Brassen und wohl auch kleinen Karpfen längst gefangen, weil mein Vater mir die Angel in die Hand gedrückt hatte, kaum daß ich laufen konnte.
Dann gab es einen schönen Frühlingstag des Jahres 1964 oder 1965, an dem die ganze Familie an einen kleinen Fluß im Vorharz fuhr, um dort einen langen Angeltag zu verbringen. Alles wurde eingepackt: Spinner- und Fliegenruten, auch kräftige Grundangeln, um am Abend und in der Nacht vielleicht noch auf Aal zu gehen. Denn auch ein Zelt war dabei; damals haben wir die Nächte auf den Sonntag oft am Wasser verbracht.
Am Flußufer wurde das Lager aufgeschlagen; Mutter zog sich – wie immer bei solchen Gelegenheiten – mit einer Illustrierten und Strickzeug auf eine Gartenliege am schattigen Ort zurück, Vater schnappte sich die Spinnrute und verschwand stromaufwärts.
Ich hockte eine Zeitlang mit Schwimmer, Wurm und kurzer Rute am Ufer, in der Nähe meiner meist in der Sonne dösenden Mutter.
Es biß nichts, und schnell hatte ich Unsinn im Kopf.
Überhaupt hatte ich an diesem Tag keine rechte Lust zum Fischen und ließ bald die Rute Rute sein; mir stand der Sinn nach echten Abenteuern. Also machte ich mich ans Wegschleichen aus dem Einflußbereich meiner Mutter, auf eine Erkundung der Gegend, um möglichst ein wildes Tier zu erlegen. Bald hatte ich einen Feldhasen gesichtet – aber es fehlte mir an der Waffe, ihn zu erbeuten.
Dazu brauchte ich, das wußte ich aus den vielen Indianerbüchern, die mir vorgelesen worden waren, ganz genau: unbedingt Pfeil und Bogen. Und so machte ich mich stillvergnügt, konzentriert und kreativ ans Basteln dieser Jagdwaffe.
Wie das genau ablief, weiß ich nicht mehr; das Ergebnis – wie seine Vor- und Nachgeschichte – hat mir mein Vater aber später so oft erzählt, daß das Geschehen sich sehr genau rekonstruieren läßt (übrigens dürfte Freund Ulli aus meines Vaters Mund diese Geschichte auch oft genug gehört haben – deshalb mag er hier als Zeuge dafür dienen, daß das Ganze wirklich nicht erfunden ist).
Was auch immer genau ich warum, mit welchem Endziel und unter dem Einfluß welchen Teufels tat: In jedem Fall war es ein schwerer Fehler, meinen Bogen aus einem Stück 35er Aalschnur und dem Mittelstück einer dreiteiligen DAM-Fliegenrute zu basteln, an dessen Enden die Sehne festgebunden wurde.
Als Pfeil die Rutenspitze zu verwenden: Das war Fehler Nummer zwei.
Denn die Waffe war schon dem dritten oder vierten Schußversuch nicht mehr gewachsen. Die Schnur hielt. Das Mittelstück der Rute nicht. Auch der Pfeil hatte schweren Schaden erlitten, weil ein großer Stein als Zielscheibe für die ersten Probeschüsse gedient hatte.
Zum Glück für den Hasen – die Jagdwaffe war erstens untauglich und zweitens schon vor dem ersten Halali kaputt. Und zwar endgültig.
Wie und mit welchen Worten mein Vater das damals kommentiert hat – darüber möge der Mantel des Schweigens gebreitet bleiben; er war jedenfalls den Tränen nahe, und das habe ich bei ihm sehr, sehr selten erlebt.
Wenn später mein Sohn eine meiner heißgeliebten Ruten zu Zahnstochern verarbeitet hätte, wäre es auch mit meiner Gelassenheit am Ende gewesen. Zur Sicherheit habe ich deshalb Flitzebögen immer gemeinsam mit ihm gebastelt, aus Eschenzweigen. Niemals aus Angelruten.
Mein Vater nun beschloß, anstatt mich streng zu bestrafen und für alle Zukunft von den kostbaren Fliegenruten fernzuhalten (wofür ich durchaus Verständnis hätte haben müssen), mich einer pädagogischen Radikalkur zu unterziehen.
Noch am gleichen Tage begann er, mir das Fliegenfischen beizubringen, wohl auch, damit ich die Achtung vor dem Material lernte.
Diese Tage, an denen ich unter seiner Aufsicht die ersten Wurfübungen machte, habe ich nie vergessen; besonders in mein akustisches Gedächtnis haben sie sich tief eingegraben. Es waren immer wieder dieselben Worte, die ich in der tiefen, sonoren Stimme meines Vaters hörte, der eine wahre Engelsgeduld hatte:
»Zehn Uhr … … Ein Uhr …… Zehn Uhr … Nicht peitschen! … Ein Uhr … Und jetzt schießen lassen! Neun Uhr! … Aber nicht peitschen!!!«
»Zehn Uhr … … Ein Uhr …… Zehn Uhr … Nicht peitschen! … Ein Uhr … Schießen lassen! Neun Uhr! … NICHT peitschen, habe ich gesagt!!!«
Diese Worte habe ich an diesem Tag und der kommenden Zeit so oft gehört, als sei mein Vater ein buddhistischer Mönch, der mich sein Mantra lehrte.
Das waren übrigens Übungen ohne Haken und Vorfach, aber am Wasser.
Den ersten Fisch habe ich an der Fliege sicher erst fünf, sechs Jahre später gefangen. Aber das Werfen: das habe ich damals gelernt, habe es lernen müssen, meinen kurzen Ärmchen zum Trotze.
Nein, zum Fliegenfischer bin ich damals durchaus nicht geworden. Ich habe das wirklich als Strafe empfunden, nicht als die mir gewährte Gnade, die es tatsächlich gewesen ist. Freilich habe ich meine kriminelle Energie in der Zukunft niemals mehr an einer Angelrute erprobt.
So, und nun seid ihr dran!
Herzlichst, Frank