Yukon 2000 : Angeltage im Paradies 
Fünfter und letzter Teil:  8. September

von Hans-Werner Schneider


 
Indianerland – wer hat als Junge unserer Generation nicht davon geträumt – von geheimnisvollen, undurchdringlichen Wäldern, silbern schimmernden Seen und Flüssen, verborgenen Lagerplätzen mit Lagerfeuerromantik, von der Pirsch auf heimliches Haar-, Feder- oder Schuppenwild?! 
All das sollte uns heute bevorstehen. Natürlich wissen wir das noch nicht, liegt es noch wie ein unausgepacktes Geschenk vor uns, als Lonnie unser Boot mit sicherer Hand an diesem Morgen über den Dezadeash Lake, unseren Haussee, steuert.
Heute ist er zum ersten Mal befahrbar, sonst waren Wind und Wellen zu stark.  Aber auch jetzt herrscht ordentlicher Wellengang, und wenn der Rumpf des Alu-Bootes in ein Wellental trifft, gehen die Schläge dem Sitzenden hart ins Kreuz. Entschädigt werden wir dafür wieder einmal durch einen fantastischen Landschafts-Rundblick: die Berge der Front-Range hinter uns im beginnenden Herbstkleid, die  westlichen Ufer im leuchtenden Bunt der frühen Morgensonne.
Heutiges Tagesziel ist der Sixmile, ein Fluss, der gute 9 km gegenüber dem Lodge-Ufer in den See mündet. Ihn wollen wir bis tief ins Hinterland hinauffahren und dabei die fangträchtigsten Stellen befischen. Hardy hat uns dazu noch eine Spezial-Aufgabe mitgegeben: die Mündung des Udine-Creeks zu finden und ihre Qualität als neuer Super-Äschen-Platz zu testen. Und so haben wir zuerst einmal die 9 km See zu überqueren und sind danach entsprechend durchgerüttelt und geschüttelt.
Nicht weit vor der Einmündung des Sixmile halten wir an, weil es da über Gras- und Krautfeldern gute Hechteinstände geben soll. Da unsere tiefgeführten Streamer zwar manches Grünzeug aber keinen einzigen esox lucius fassen, beenden wir schon nach etwa einer Viertelstunde unsere ergebnislosen Bemühungen. Zum Hechtfischen sind wir ja auch nicht in den Yukon gefahren! Wer  lacht da?! – Nun, es ist ein Eistaucher, der ganz in unserer Nähe schwimmt und dabei jenen seltsam trillernden Ruf von sich gibt, von dem ich bis heute noch nicht weiß: hat er uns da nun an- oder ausgelacht?! 
Der Sixmile empfängt uns mit seiner eigenen, völlig anderen Welt. Glatt und ruhig, ohne auch nur eine einzige Wellenbewegung windet er sich durch eine weite Wiesen- und Binsenlandschaft. Der Wald ist zunächst weit zurückgetreten. Die Berge nur schemenhaft am Horizont erkennbar. Eine urzeitliche Ruhe geht von dieser Landschaft aus. In den stark verkrauteten Ufer- und Flachwasserzonen soll es unzählige Hechte geben, was wir gerne glauben aber nicht mit einem einzigen Erfolg belegen können. Sie wollen im Moment eben nicht! Wir passieren einen befahrenen, weil mit frischen Weidenästen und nassem Schlamm behafteten Biberbau und genießen die vorüberziehende urtümliche Landschaft. Nach mehreren Flussschleifen rückt der Wald wieder näher, und vor einer atemberaubend schönen Flusskurve rufe ich mein „Stop!“ zum Anhalten und Ankerwerfen. Hier kann man nicht einfach weiterfahren, hier muss man bleiben und schauen, und fischen natürlich auch, denn zu allem Überfluss zeigen sich auch noch Ringe an der Oberfläche.
Die nächsten beiden Stunden sind erfüllt von wieder einmal herrlicher Äschen- fischerei. zu allen Seiten des Bootes sind Bisse zu verzeichnen, besonders zum Ufer hin. Horst`s 2er Spinner wird zwar nicht so oft genommen wie meine Rehhaar- Sedge, aber auch er fängt prächtig. Manche Fische retten sich in den Pflanzenbewuchs am Grund und kommen mit dessen Hilfe wieder frei, aber die meisten müssen schließlich doch dem Zug zum Bootsrand folgen und werden dort – bis auf zwei, die unser Lunchangebot bereichern sollen – released.
Auf der Weiterfahrt verdichtet sich der Wald wieder auf beiden Seiten des Flusses und nimmt unsere Aufmerksamkeit durch sein herrlich buntes Herbstkleid gefangen: hell zitronen- bis satt gold- und orange-gelb leuchtet das Laub der Zitter- und Balsampappeln, vor denen sich die Northern Pines als schwarz-grüne Säulen  beeindruckend abheben.

Lonnie ist wie fast alle Guides unserer Lodge ein ausgezeichneter Jäger, und so gleiten seine Augen wachsam, während er unser Boot langsam den Sixmile weiter hinauf manövriert, über die uns um gebende Wald- und Flusslandschaft. 

Auf diese Weise hat er schon am zweiten Angeltag auf dem Heimweg einen recht weit entfernt auf einem Baumwipfel sitzenden Fischadler, ausfindig gemacht, eine Spezies, die hier in dieser Gegend eher als selten zu bezeichnen ist. 

Heute dagegen entdeckt er für uns dessen größeren und eigentlich viel häufiger anzutreffenden Verwandten, einen Weißkopfseeadler, ebenfalls auf der Krone einer nordischen Fichte thronend. Da es der erste dieser Art ist, den wir auf unserer Angeltour zu Gesicht bekommen und er uns auch verhältnismäßig nahe herankommen lässt, ist unsere Begeisterung  natürlich groß. Aber dann wird es ihm doch zu mulmig und er erhebt sich mit mächtigem Flügelschlag in die Luft. Als ich ihm auf seinem Flug über den Fluss, dem Wald und den Bergen zu nachschaue, schießt es mir durch den Sinn: „Das Land, in dem der Adler fliegt!“

Zur Mittagszeit erreichen wir eine Stelle, die Lonnie schon öfter als Rastplatz benutzt hat, da man hier relativ gefahrlos ein Feuer entzünden kann. Da man sich in der Wildnis „traceless“, also spurenlos, zu bewegen hat, erinnern hier auch nur ein paar rußgeschwärzte Steine und etwas schwarze Asche an vorherige Besuche und Aufenthalte, und genauso werden wir den Platz übrigens auch wieder verlassen. Während unser unermüdlicher Führer Feuerholz besorgt, die Flamme entfacht, Fische bratfertig macht und brät, Tee kocht, Toast, Speck und Würstchen röstet, für Sitzgelegenheiten sorgt, Horst ihm dabei hilft und Douglas sich schon 
erwartungsvoll die Schnauze leckt, stehe ich als einziger  nur an mich und mein Vergnügen denkend auf einem großen Felsen am Fluss und schwinge die Fliegenrute. Selbst als Lonnie mir mehrmals eindringlich zuruft, dass der Fisch jetzt „definitively cooked“, mit Sicherheit gar gekocht  ist, fällt es mir schwer, mich von diesem Ort zu lösen – so schön sind die Äschen hier...
Nach der Mahl- und Ausruhzeit führt uns unsere Bootsfahrt in immer entlegener Gebiete. Wann war hier der letzte Mensch gewesen?! Wie viele Flussbiegungen haben wir schon hinter uns gebracht? 
Wann und wo finden wir zum Udine-Creek?- Ein Paar Wildenten, „golden eyes“, ist zunächst alles, was wir an Lebendigem entdecken können. Aber dann, als  wieder einmal eine Flusskurve umrundet ist, schlägt Lonnie mir plötzlich unvermittelt auf die Schulter und weist zum Ufer hin.
Für einen Moment weiß ich nicht, was er meint, doch dann sehe ich sie auch: eine mächtige Elchkuh und ihr letztjähriges Kalb stehen ruhig im Ufergestrüpp und  beäugen uns von dort aus mit großer Gelassenheit!
Als wir mit nun abgeschaltetem Motor näher herangleiten, wenden sie sich ohne Hast um und verschwinden gemächlich im angrenzenden Wald. Ab und zu sieht man noch  braun ein Stück ihrer massigen Leiber oder weiß einen Teil ihrer kräftigen Hinterläufe durch die Zweige schimmern. Dann ist diese Begegnung, die mir wie ein Spuk aus  ferner Urzeit vorkommt, zu Ende. – Dankbar für dieses Erlebnis sitze ich beglückt auf meiner Bootsbank.
Nachdem wir  eine steil aufragende, vom Fluss ausgewaschene Lehmwand passiert haben, tut sich mit einem Mal zu unserer Rechten ein von gelb-braunen Weidenbüschen gesäumter, 5–6 Meter breiter Wasserlauf auf.
Das muss der gesuchte Udine-Creek sein. Wir folgen ihm ein Stück weit, bis er flach und sandig wird, und kehren dann wieder zu seiner Einmündung zurück. Nach Hardy`s Informationen soll es hier reichlich gute und starken Äschen geben.

Die bewährte 14er Balloon-Caddis muss den Beweis dafür antreten, und kaum ist sie im Mischwasser zwischen Bach- und Flussströmung ein wenig abgetrieben, als es auch schon den erhofften Schwall, Spritzer und Widerstand gibt. Wiederum haben wir es mit fantastisch kämpfenden Äschen zu tun. 

Besonders auffallend sind die türkis- oder kupferfarbenen Streifen ihrer Rücken- und Bauchflossen.  Und wieder einmal spüren wir während der nächsten knappen Stunde: wir fischen hier nicht irgendwo, sondern wirklich im absoluten Fischer- Paradies!
Auf der Heimfahrt habe ich genügend Zeit, um bereits einmal etwas Bilanz zu ziehen: was haben wir hier nicht alles schon erlebt, in den wenigen Tagen, die wir jetzt hier sind: wieviele herrliche Drills haben wir genossen, wieviele Fische gefangen, welch wunderbare Landschaften haben wir gesehen, und wie viele einmalige 
Tierbeobachtungen waren uns vergönnt!
Alles zieht noch einmal wie ein wunderschöner Film an mir vorüber, und es wird mir  schon nach diesen anfänglichen Erlebnistagen klar und immer klarer: das Yukon-Territory ist und bleibt mein Traumland – oder, wie es hier oben in solchen Fällen auch heißt:
„I’m lost in the Yukon!“
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