Zapfen, Hülse und die Physik

Hier treffen sich die wahren Handwerker unserer Zunft. Gibt es eine schönere Fischerei, als mit einer Selbstgebauten - ob nun Gespließte, Kohlefaserrute oder Eigenbaurolle? Geizt nicht mit Euren Ratschlägen.

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webwood
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Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von webwood »

In einen anderen Threat http://www.fliegenfischer-forum.de/flyf ... 67975.html
ist eine andere, sehr interesannte Off-Topic-Diskussion entstanden.
Hier geht es für die Physiker weiter.

Viele Grüße

Thomas
Angler sterben nie, die riechen nur so.
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tea stick
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von tea stick »

Danke, lieber Thomas, für diesen Thread!
Ich hatte schon ein ganz schlechtes Gewissen!
Aber es ist schön, dass Du für unseren temperamentvollen Disput eine neue Heimat gefunden hast.
Los geht's!

Ihr glaubt an Friktionshemmung, die den Zapfen in der Hülse hält?
Sorgt nicht die Materialbewegung der Hülsenbestandteile während der Rutenaktion - so geringfügig sie auch sein mag - für eine Lockerung dieser Friktion? Ich stelle mir gerade eine vierteilige Rute vor; die hat drei solcher "Friktionsbaustellen"!
Liegt da nicht die elastische Abdichtung mit Fett, Talg, Wachs oder was auch immer viel näher?
Nach bewährter Übung schieben wir die Hülsenteile nicht bis zum Anschlag ineinander, sondern lassen den Zapfen noch ein wenig herausstehen. Erst seit meiner "Hülsenbeschäftigung" denke ich darüber nach, ob nicht die etwas tiefere Hülse gerade den Platz für die "Unterdruckkammer" schaffen soll.

Also ich grübele mal weiter darauf herum.
Freimut
TL!
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webwood
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von webwood »

Wir reden von zylindrischen Korken, denn auch der Hülsenzapfen ist zylindrisch ausgebildet, passend zur Hülse. Eine konische Hülsenverbindung wäre auch ziemlich witzlos, denn sie würde ja nur in einem sehr kleinen Bereich haften, nicht über die ganze Zapfenlänge. D.h.: bereits eine winzige Lockerung würde die Sektionen auseinanderfliegen lassen.
Lieber Freimut,

ich bin davon ausgegangen, das der Zapfen leicht konisch ist. Zumindest bei meiner Hardy Palakona ist er das. Habe gerade mit dem Mikrometer nachgemessen. 0,05 mm konisch. Den Innendurchmesser der Hülse kann ich mangels Werkzeug nicht messen doch müsste der alleine durch den Gebrauch entsprechend dem Konus aufgeweitet sein.
Wenn Zapfen und Hülse durchgehend gleich stark sind und wir annehmen, das das Fett wie ein Simmerring wirkt, so wäre das doch wie wie Zylinder und Kolben bei einem Verbrennungsmotor. So müsste sich von Anfang an ein Überdruck aufbauen. Das das Fett beim Zusammenstecken Luft durchlässt und beim Auseinaderziehen nicht, erscheint mir nicht logisch oder hängt das mit der Masseträgheit des Fetts zusammen? Ich kann mich Dunkel an die Schule entsinnen, bei einem pastösen Mehl-Wassergemisch kann man draufhauen und die Hand dringt nicht ein, sehr wohl aber dringt die Hand bei einer langsamen Bewegung ein.

Zu deiner "Plopp"- Argumentation. Die hat was, aber warum ploppt es? Ein Druckunterschied muss bestehen, das sind wir uns gewiss einig.
Beim frischen Verkorken einer Weinflasche entsteht erstmal ein minimaler Überdruck in der Flasche, der mag sich im Laufe der Zeit durch die Diffusionsfähigkeit des Korks ausgleichen. Beim schnellen Öffnen entsteht nun Unterdruck und es macht "Plopp". Ist logisch. Doch beim Öffnen einer Champagner-Flasche entweicht Überdruck und es macht auch "Plopp".

Liebe Grüße

Thomas
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Hardy

Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von Hardy »

webwood hat geschrieben:...
Zu deiner "Plopp"- Argumentation. Die hat was, aber warum ploppt es? Ein Druckunterschied muss bestehen, das sind wir uns gewiss einig.
Beim frischen Verkorken einer Weinflasche entsteht erstmal ein minimaler Überdruck in der Flasche, der mag sich im Laufe der Zeit durch die Diffusionsfähigkeit des Korks ausgleichen. Beim schnellen Öffnen entsteht nun Unterdruck und es macht "Plopp". Ist logisch. Doch beim Öffnen einer Champagner-Flasche entweicht Überdruck und es macht auch "Plopp".

Liebe Grüße

Thomas
moin moin,

bei Zapfen und Hülsen muss ich passen, aber bei Wein und Schampus bin ich dabei! :wink:

Also, beim Öffnen einer Weinflasche entsteht ein Unterdruck, der in dem Moment ausgeglichen wird, wenn der Korken den Hals verlässt und die Luft einströmen kann. Plopp! Könner allerdings vermeiden (zumindest bei gute Rotweinen) dieses Plopp, damit der Wein nicht erschreckt wird.
Bei der Schampusflasche hingegen ist bereits der (Über-)Druck in der Flasche, der sich beim Öffnen derselben lustvoll und mit lautem Plopp nach außen Bahn bricht. Das muss so!

Groetjes
Hardittsche (boah, datt perlt aber wieder)
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von bengbengboumm »

Hallo Leute,

Schaut doch mal bitte hier

http://www.haustechnikdialog.de/shkwiss ... oeffizient

und auch hier

http://www.energieundinnovation.de/grap ... agramm.jpg .

Hinzu kommt bestimmt auch noch die Schallgeschwindigkeit in Abhängigkeit von Material, Volumen und Auszuggeschindigkeit.

Soll heißen, wer aus dem warmen Auto seine F-Rute zusammen steckt, wird nach abkühlen zur Umgebungstemperatur alle Effekte verstärken.

Das wären meine Gedanken.

LG Rico
Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.(Rosa Luxemburg)
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tea stick
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von tea stick »

webwood hat geschrieben: ...der Zapfen leicht konisch ist. Zumindest bei meiner Hardy Palakona ist er das.
Reiner Zufall, keine Werbung, dass Hardy gerade sein Posting eingestellt hat...

Über die Engländer kann ich immer nur den Kopf schütteln! Sollten die tatsächlich die Hülsenpassung konisch gedreht haben? Und warum? 5/100 mm ist ja nicht viel und ich halte diesen Konus eher für einen Bearbeitungsfehler - bei allem sonstigen Respekt Hardy gegenüber.

Die Hülsen werden bei mir abschließend mit einer Reibahle, die eine H7-Toleranz aufweist, ausgerieben. Damit ist ihre Innenoberfläche optimiert und nahezu absolut zylindrisch. Natürlich gibt es auch konische Reibahlen, aber deren Verwendung bei der Hülsenherstellung habe ich noch nirgendwo erwähnt gefunden. Warum auch? Selbst eine ganz geringfügige Lockerung führt infolge der Konusform recht schnell zu einer Zunahme dieser Lockerung und dann zu dem gefürchteten fühlbaren oder noch schlimmer: hörbaren Klicken. Deshalb mein oben geäußerter Verdacht.

Mehl-Wasser-Pampe und mit der Hand draufschlagen? War das eine Walddorfschule? Aber ich denke, dass ich genau dieses Beispiel für meine Argumentation heranziehen kann: Hie Walddorfschule: Wenig bis keine Elastizität beim Draufschlagen und hochelastisch beim langsamen Eindrücken; dort (meine Werkstatt): schnelles Trennen und langsames Zusammenfügen der Hülsenteile. Die Pampe kann hier mit der Luft gleichgesetzt werden. Klingt komisch, is aber so.
Die Hülse ist zwar mit H7-Toleranz ausgerieben, den Zapfen jedoch passe ich mühsam an. Und wenn er auch mit größtmöglicher Sorgfalt und Genauigkeit auf der Drehmaschine rundgedreht und auf Durchmesser gebracht wurde, so dürfte er doch keine H7-Toleranz aufweisen. Dass die Passung abschließend mit Schmirgelpapier auf dem drehenden Zapfen angepasst wird, dürfte auch nicht zur absoluten Abdichtung führen. Da geht immer noch ein bisschen Luft an den Seiten vorbei mit oder ohne Fett. Das ist ja auch in Ordnung, solange einem abrupten Auseinanderziehen Widerstand entgegengesetzt wird.
Dein Beispiel mit der Kompression eines Verbrennungsmotors kommt mit da auch sehr gelegen. Die abdichtenden Kolbenringe haben da, wo ihre Enden aufeinanderstoßen, eine Trennfuge, sind also "nicht mehr ganz dicht". Bei einer Umdrehung mit einer Kurbel wirst Du den Kompressionsdruck feststellen, nicht aber bei ganz langsamem Umdrehen mit der Hand. Die Abdichtung muss ja auch nur ausreichen, um den Kompressionsdruck der Zündungstaktes aufzunehmen. Und das geschieht in dem Bruchteil einer Sekunde. Vergeichbar mit dem Bruchteil einer Sekunde, den die Ruten-Spitze beim Schwung genau in der Mittelachse steht. Gut beobachtet, Thomas.
Nun zur "Ploppologie": Wir sollten mehrere Wein- und Sektflaschen nacheinander öffnen, um den unterschiedlichen Plopp deutlich zu machen. Doch zunächst mal die Theorie: Der Weinflaschen-(Unterdruck-) Plopp beim Öffnen ist kaum zu vermeiden, wenn man nicht ganz (krankhaft) extrem gefühlvoll zieht. Der Überdruck-Plopp beim Sekt - so kriegen das die Sommeliers in der Ausbildung beigebracht - darf garnicht ploppen, sondern nur seufzen. Deshalb: beim Öffnen gegendrücken. Und beim Leeren der so geöffneten Flaschen können wir dann darüber philosophieren, dass ein nicht ganz herausgezogener, gleitfähiger Kork, wenn er nicht vom Korkenzieher völlig durchgebohrt ist, die Neigung hat, langsam wieder in den Flaschenhals zurückzuwandern, es sei denn, er hat im ersten Moment schon Luft hereingelassen.

Ich kann es drehen und wenden,wie ich will: irgendwie komme ich immer wieder aufs Trinken zu sprechen...

Gruß

vom Freimut
TL!
laverda
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von laverda »

Hi miteinander,
Die Physik der Haltekräfte bei Überschub/Zapfenverbindung ist eindeutig:

Der Effekt der Vakuum-Kugel resultiert aus der großen Innen-Querschnitssfläche der Kugel, und der Innen-Querschnitt unserer Blanks ist nun mal recht beschränkt.

Beispiel-Rechnung:
Innenquerschnitt Blank: 1cm²,
Blank-Innendruck 0bar ,absolutes Vakuum, technisch nicht realisierbar!!!!
Außendruck 1bar Atmosphärendruck=>
P=F/A ;Druck = Kraft / Fläche => F = PxA ; 1bar = 10N/cm²
Max Kraft aus 1cm² Querschnittsfläche => 10N => entsprechend der Gewichtskraft von 1kg!!!!

Bei gerade mal 10 Newton "Haltekraft" der Rutenverbindung ausschließlich aufgrund von 100% Vakuum!!!!!!! fliegt das Rutenteil dem Streamer beim ersten zaghaften Wurfversuch bereits hinterher. Demgegenüber funktioniert eine konische Hülse wie ein Keil mit sehr geringer Steigung. Dort werden beim Zusammenstecken enorm hohe Umfangskräfte frei und damit Druckkräfte auf die Berührungsflächen der Blankteile und durch die Haftreibung halten die Teile. Der Überschub muss konisch sein, damit bei Verschleiß der Berührungsflächen der äußere Konus weiter auf den inneren geschoben werden kann und somit die Haltekraft erhalten bleibt.
Eine Überschlagsrechnung spare ich mir hier erstmal, kann aber bei Interesse nachgereicht werden.

Beim Fischen lockert sich die Pressverbindung im Laufe der Zeit durch die Deformationseffekte der ebenen Rutenbiegung bei Wurf und Drill überlagert mit Torsionsmomenten und Umlaufbiegung beim Formen des D-Loops beim Unterhandwurf.

Gruß vom platten Niederrhein
Zuletzt geändert von laverda am 24.06.2013, 19:07, insgesamt 3-mal geändert.
Ruten werfen Masse.........nicht Klasse
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webwood
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von webwood »

Über die Engländer kann ich immer nur den Kopf schütteln! Sollten die tatsächlich die Hülsenpassung konisch gedreht haben? Und warum? 5/100 mm ist ja nicht viel und ich halte diesen Konus eher für einen Bearbeitungsfehler - bei allem sonstigen Respekt Hardy gegenüber.
Diesen minimalen Konus halte ich nicht für einen Bearbeitungsfehler, sondern für Know How. Bei einer absolut zylindrischen Hülse und Zapfen, wäre durch Materialabrieb irgendwann eine Grenze erreicht, wo das Ganze nicht mehr hält. Durch den leichten Konus wird bei Materialabrieb die Verbindung nur einfach minimal weiter ineinander geschoben. Ich denke der Zapfen, passt sich der Hülsenform an.
Was das Fett angeht, Das war keine Waldorfschule, sondern soweit ich mich entsinne Ranga Yogeshwar in Quarks. Ist aber egal. Dilatenz meinte ich. Hab mal gegockelt:
http://suite101.de/article/staerkebrei- ... nz-a106355. Die Dialtenz halte ich eher für eine schlüssige Erklärung, nicht den unterschiedlichen Luftdruck.

Viele Grüße

Thomas
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von piscator »

Moin, ich dachte diese Dilatanz und ähnliche Prozesse sind für Fluide. Hülse ist einfach Haftreibung -- glaube ich jedenfalls. J.
ride the snake (JM)
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von webwood »

Liegt da nicht die elastische Abdichtung mit Fett, Talg, Wachs oder was auch immer viel näher
@ Piscator

Ohne wirkliche Sachkenntnis , habe ich Fett, Talg und Wachs als Fluide betrachtet und daher die Dilatanz als mögliche Ursache in den Ring geworfen.
Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.

Viele Grüße

Thomas
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von tea stick »

laverda hat geschrieben:
Blank-Innendruck 0bar ,absolutes Vakuum, technisch nicht realisierbar!!!!
Außendruck 1bar Atmosphärendruck=>
P=F/A ;Druck = Kraft / Fläche => F = PxA ; 1bar = 10N/cm²
Max Kraft aus 1cm² Querschnittsfläche => 10N => entsprechend der Gewichtskraft von 1kg!!!!

Bei gerade mal 10 Newton "Haltekraft" der Rutenverbindung ausschließlich aufgrund von 100% Vakuum!!!!!!! fliegt das Rutenteil dem Streamer beim ersten zaghaften Wurfversuch bereits hinterher.
Vielen Dank, Laverda!
Gibt's sowas auch verbal in verständlicher Form in deutscher Sprache für Nicht-Physiker? Ich gestehe, mir erschließt sich die Konsequenz Deiner Formel nur sehr zögerlich. Mit wieviel N ziehst Du denn an Deinen Rutensektionen, um sie zu trennen?
Und auch die Konizität der Hülsenteile erscheint mir immer noch nicht erforderlich. Natürlich kenne ich die Morse-Kegel an meiner Bohrmaschine und meiner Drehmaschine. Die bekomme ich von Hand nicht gelöst, sondern muß sie herausstoßen. Sowas kann ich aber bei meinen Ruten nicht machen!
Du lieber Himmel, was habe ich da losgetreten?

Ziemlich ratlos, der
Freimut
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von webwood »

Bei den Hülsen für die Grasstecken ist ein Steg zwischen der Aufnahme des Zapfens und der Seite, an der der Blank eingeleimt wird. Zumindest bei meiner Palkona. Mehr Grasstecken habe ich nicht zum nachsehen. Daher liegt die Unterdrucktheorie bei diese Art Hülsen nahe. Bei meinen Carbonstecken ist indess nirgendwo ein Steg, also das ganze Volumen des Spitzenteils bzw. einer Sektion ist hohl. Das ist in Realtion gesehen ein erhebliches Volumen an Luft. Ich bleibe daher Anhänger der Glaubensrichtung "Friktion" und die "Unterdruckgläubigen" mögen dem Scheiterhaufen überantwortet werden, weil sie irrgeleitet und der falschen Lehre anhängen :wink:

Selbsternannter Inquisitor

Thomas, der Allerletzte
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von tea stick »

Also, lieber Thomas!
Dank Deiner PN kann ich diesen Tiefschlag wegstecken.

Der Steg, den Du da ansprichst, ist ein sog. "water-seal", eine Wassersperre, die das Eindringen von Wasser in die Hülse und damit die Durchfeuchtung des Bambus verhindern soll. Deshalb auch nur bei Bambusruten. Vielleicht haben es einige Karbon-Ruten auch - die teureren möglicherweise... =D> Wie früher schon erwähnt, sind bei Bambusruten die aufnehmenden Hülsenteile auf der jeweiligen unteren Sektion angebracht, bei den integrierten Bambushülsen ist das - vermutlich mit dem gleichen Ziel wie bei der Wassersperre - gerade umgekehrt. Zapfenteil wie auch Hülsenteil der Metallhülsen schützen die Schnittflächen des Bambus vor Feuchtigkeit.

Wegen dem Konus habe ich nochmal gegrübelt und wie meistens kam auch was heraus:
Zum Zwecke der Einpassung werden die Zapfenteile mit einem um 5/100 mm größeren Durchmesser als nötig geliefert und müssen dann individuell in die zugehörigen Hülsenteile eingepasst werden. Es handelt sich also nicht um einen Konus mit linearem Verlauf, auch die Hülse ist darauf nicht ausgedreht - sie ist zylindrisch. Jetzt wird mir auch klar, warum der Zapfen nicht ganz in der Hülse steckt: ich hab da noch etwas zum Nacharbeiten für den Fall, dass der Zapfen mit der Zeit abgewetzt ist und tiefer in die Hülse gelangen soll?!?!?

Also: den Konus können wir schon mal streichen. Möchte nicht die Hülsen vom Bambus ziehen, wenn ich eine solche Konusverbindung trennen müße.

Schreien jetzt nur noch die dem Feuer Geweihten: "Aber warum denn dann überhaupt noch wachsen?"

Ob die Inquisition wenigstens darauf eine nicht dogmatische Antwort weiß?

Darauf gespannt ist

der Freimut
TL!
detärjag
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von detärjag »

Hallo zusammen,

den Tipp mit dem Vakuum halte ich für nicht entscheidend.

Viel eher ist es die entstehende Reibkraft während der Bewegung der Rute.

Die Reibkraft berechnet sich ja aus der Fläche im Eingriff mal den Reibkoeffizienten mal den Anpressdruck.

Ich denke das der Anpressdruck aus der Verformung während der Bewegung entsteht und das somit die Reibkraft auf die Hülse immer größer ist als die reine Axialkraft.

Ich habe eben mal mein Maschinenelemente Skript raus gesucht und denke das da was dran ist.

Gruß Jan.
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tea stick
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Re: Zapfen, Hülse und die Physik

Beitrag von tea stick »

detärjag hat geschrieben: Ich habe eben mal mein Maschinenelemente Skript raus gesucht und denke das da was dran ist.
Du kannst, lieber Jan,
in Deinem Maschinenelemente-Skript eine Randnotiz anfertigen:
"Die haltende Wirkung der Reibungskräfte in der Hülse findet nur während der Auflade- oder Entladezeit der Rute statt. In der sehr kurzen Zeit des Übergangs zwischen den Ladevorgängen wirken keine Reibungskräfte mit Ausnahme der des fest eingerammten Zapfens."
Da, wo es Reibung gibt, gibt es auch Abrieb mit der Folge des Materialverschleißes. Des Schicksals Fügung will es, dass aus der stramm sitzenden Hülsenpassung mit der Zeit eine Rutschpassung wird, die man am besten wachst, um sie wenigstens durch den Unterdruck zusammenzuhalten. Na, wie hab' ich das wieder hingebogen?

Ich hab heute Nacht erst einschlafen können, nachdem ich mir vorgenommen habe, heute morgen mal in der "Bibel der Rutenmacher", bei Gerrison, nachzuschauen. Carmichael und Gerrison gehen offenbar davon aus, dass sich der geneigte Leser fertig eingepasste Hülsenpaare oder Sets kauft und gehen auf die Passform nur mit dem Hinweis ein: " It is now generally conceded that the friction or "suction" fit ferrule is the best design." ("A Master's Guide To Build A Bamboo Fly Rod", 2007, S. 105) Entgegen ihrer sonstigen Ausführlichkeit war's das dann auch schon.
Cattanach beschreibt zwar sehr ausführlich das Schmirgeln und Polieren (auf den Knien bei bereits montiertem Zapfen!); zur Passung beschränkt er sich aber auf den Hinweis, dass die beim Zusammenstecken erforderliche Kraft der entsprechen soll, die man aufwendet, um die Kappe auf einen Deodorant-Stick zu setzen... Das bringt uns auch nicht wirklich weiter.
Bleibt das Classic-Flyrod-Forum, wo mich die Suchfunction ("friction fit" und "suction fit") zu einem Thread führte, der sich mit Lösen unlösbarer Hülsenverbindungen befasst. Interessanterweise werden hier vier Passformen angesprochen: "tight fit", "friction fit", "suction fit" und "loose fit". wobei mit "tight fit" eine unvollkommene Einpassung gemeint ist, die man einem Kunden nicht zumuten sollte (Mangel), und mit "loose fit" eine zu lockere Passung, möglicherweise mit Klickgeräuschen, ebenfalls zu verwerfen.
Bleiben "friction fit" und "suction fit"; es scheint, dass beide hier vertretenen Ansichten ihre Lager haben.
Carl Otto, Mitglied eines renommierten Ausrüsterhauses in Michigan, schreibt:
"... For some reason a number of builders living and also passed on are/were confused with what ferrules are meant to do. The fit is a suction fit, NOT a friction fit. We use the original "Super Z" ferrules as the gold standard example of what a proper ferrule fit is about. They slide together effortlessly along their entire length, and come apart just as nice. They are polished, without/or no visible "grit" marks. When Art Neumann received his first set of these from Louis (and the girls) he immediately went to Paul Young and convinced him he should use no other ferrules on his rods, and from then on he didn't. My Young and Wanigas rods with these ferrules on them, although 60 years old, work just as nice today as they did originally (because they have also been taken care of). We send rods back to makers if the ferrules are not a suction fit, AND do not fit evenly their entire length. We also redress ferrules on rods we receive to make sure of this, if necessary. There are many aspects of building a rod, all of great importance, some that can be knowledgeably fudged without overall harm, but to cheat a ferrule fit, to tight, at the end should not be an area of compromise foisted off on to the purchaser. Ferrule fit is one of those aspects of a rod that tells you what level of quality you are dealing with. Fortunately it can be easily remedied by skilled thoughtful attentive Hands."*)
Und ein anderes Forumsmitglied schreibt mit obigem Bezug:
"... To Carl's point, it is interesting to note that Hardys consistently (for ~100 years) referred (still refers?) to modern style metal ferrules as "suction joints". ..."

Ist das nicht ein versöhnliches Ergebnis?

fragt

der Freimut

_____________________
*) Für alle diejenigen, die diesen germanisch-lateinischen Mischdialekt in der Schule nicht gelernt haben:
"Aus irgendeinem Grund ist eine Anzahl zeitgenössischer oder bereits verstorbener Rutenbauer unsicher über die Aufgabe, die eine Hülse hat. Die Passung ist eine Saug-Passung, KEINE Reibungspassung. Wir nutzen die Original "Super Z" Hülsen als Paradebeispiel dafür, was eine anständige Hülse ausmacht. Sie schieben sich ohne jede Anstrengung auf ihre gesamte Länge zusammen und lassen sich genauso leicht wieder trennen. Sie sind poliert, ohne oder mit nicht sichtbaren Schmirgelriefen. Als Art Neumann sein erstes derartiges Hülsenset von Louis" (gemeint ist L. Feierabend; mit den girls kann ich allerdings nix anfangen) "erhielt, begab er sich unverzüglich zu Paul Young und überredete ihn, auf seinen Ruten keine anderen Hülsen mehr zu verbauen, was er auch künftighin tat. Meine Young&Wanigas-Ruten haben diese Hülsen , wenngleich 60 Jahre altfunktionieren sie heute noch genauso wie sie es original taten (auch, weil sie gepflegt wurden). Wir senden Ruten an die Rutenmacher zurück, wenn die Hülsen keine Saugpassung haben und sie nicht über ihre gesamte Länge ineinander gleiten. Wir überarbeiten auch Hülsen auf Ruten, die wir erhalten, um das, wenn notwendig, sicherzustellen. Da gibt es viele Aspekte beim Rutenbau, alle von großer Wichtigkeit, einiges kann auch fachmännisch ohne jeden Schaden hingepfuscht werden, aber eine enge Hülsenpassung hinzumogeln sollte kein Kompromissbereich sein, der auf den Schultern des Kunden ausgetragen wird. Hülsenpassung ist der eine Bereich einer Rute, der aussagt, auf welchem Qualitätsniveau Du Dich bewegst. Glücklicherweise kann das leicht von kundigen, bedachtsamen Händen nachgebessert werden."
Zuletzt geändert von tea stick am 25.06.2013, 13:15, insgesamt 1-mal geändert.
TL!
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