Gerade gelesen: Spüren Fische Schmerz?

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zuma

Gerade gelesen: Spüren Fische Schmerz?

Beitrag von zuma »

Vermerk der Staatsanwaltschaft Hannover vom 25. April 2003

Eine quälerische Misshandlung im Sinne des § 17 Nr. 2 b des Tierschutzgesetzes lässt sich bei sachgerechter Hälterung in einem Schonsetzkescher nach neueren Erkenntnissen nicht begründen!
Nach dem von der Staatsanwaltschaft eingeholten Gutachten des Sachverständigen Günther vom 07.04.2003 werden den Fischen weder Schmerzen noch länger anhaltende, erhebliche Leiden zugefügt. Die in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene Frage, ob Fische überhaupt schmerzfähig sind, ist nach einem neuen Gutachten des Sachverständigen Günther im Hinblick auf vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse neu zu beantworten. Nach den Ausführungen von Günther ist aufgrund einer Untersuchung von J. D. ROSE, "The Neurobehavioral Nature of Fishes and the Question of Awareness and Pain". Reviews in Fisheries Science, 10(2002)1, 1-38, die in Fachkreisen weitgehend diskutiert und im Wesentlichen unwidersprochen geblieben ist, festzustellen, dass Fische mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Schmerzempfinden haben. Rose geht von dem unbestrittenen Grundprinzip der Neurowissenschaft aus, dass Nervenfunktionen von spezifischen Nervenstrukturen abhängen. Der grundlegende Unterschied zwischen einem Säugetierhirn und dem anderer Wirbeltiere (z. B. Fischen) ist bei den Säugetieren die Vergrößerung und weitergehende Differenzierung der Hirnhälften. Das Säugetierhirn enthält die Hirnrinde (Neocortex), die in ihrer Art bei Fischen nicht anzutreffen ist. Aus umfangreichen Untersuchungen ist bekannt, dass die menschlichen Fähigkeiten zur bewussten Wahrnehmung von Erfahrungen und der eigenen Existenz von den Funktionen des Neocortex abhängen. Der Neocortex ist demnach für die Ausbildung des Bewusstseins von zentraler Bedeutung. Es ist unstreitig, dass die Existenz von Bewusstsein eine weit verzweigte Hirnaktivität erfordert, die bei Fischen nicht vorhanden ist. Das Gehirn von Fischen besitzt in qualitativer und quantitativer Hinsicht keinerlei strukturelle Merkmale, die für die Ausbildung bewusster Wahrnehmung notwendig sind. Insbesondere aus der in der Neurowissenschaft unstreitigen Tatsache, dass Schmerz grundsätzlich subjektiv empfunden wird, ist zwangsläufig zu folgern, dass ohne die Ausbildung eines Bewusstseins (das bei Fischen mit größter Wahrscheinlichkeit nicht vorhanden ist) auch kein Schmerz empfunden wird.
Zusammenfassend ist zur Schmerzempfindlichkeit festzustellen, dass zwar ohne Weiteres davon auszugehen ist, dass der Körper des Fisches das Auftreten von Schädigungen unterschiedlicher Art registrieren, diese Veränderungen vom Fisch jedoch nicht als Schmerz empfunden werden. Die Tatsache, dass der Körper eines Fisches auf die von ihm wahrgenommenen Reize (Nocizeption) mit einer Reaktion in Form einer Vermeidungsstrategie reagiert, kann somit nicht als Schmerz interpretiert werden. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine menschlich-subjektive Fehlinterpretation dieser Verhaltensweise (Anthopomorphismus). Auch länger anhaltende, erhebliche Leiden im Sinne des Tierschutzgesetzes lassen sich nicht begründen, da das Merkmal "Erheblichkeit" gewichtige und gravierende Beeinträchtigungen der Fische voraussetzt, die sich nach den Ausführungen von Günther nicht belegen lassen. Ebenso ist das Tatbestandsmerkmal "länger anhaltend" im Hinblick auf den anfänglichen Fang- und Hälterstress nicht sicher festzustellen. Die im Beschluss des OLG Düsseldorf vom 20.04.1993 lange Zeit geprägte und auch vom Deutschen Tierschutzbund e.V. sowie von der Staatsanwaltschaft Hannover bisher vertretene Meinung, die von erheblichen, länger anhaltenden Leiden bei nicht nur kurzfristiger Setzkescherhaltung ausgegangen ist, lässt sich unter Berücksichtigung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse nach den Ausführungen des Sachverständigen Günther (und den Erkenntnissen von Rose) aus mehreren Gründen nicht mehr halten. Zwar sind Fische nach Auffassung des Gutachters unstreitig leidensfähig, wobei in der Forschung Übereinstimmung besteht, dass das Empfinden des "Leidens" bei Fischen eng mit dem Stresssyndrom verknüpft ist, das durch verschiedene Parameter gemessen werden kann.
Der Sachverständige Prof. Dr. Schreckenbach hat in seinem Gutachten, das er 1999 in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Rinteln erstattet hat, überzeugend dargelegt, dass die Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. Klausewitz (1991) und Schulz (1992), auf die sich das Oberlandesgericht Düsseldorf gestützt hat, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen sind. Die Sachverständige Schulz hat ihre Beobachtungen aus Versuchen mit einem Setzkescher vorgetragen, der von ihr senkrecht unter einem Angelkahn aufgehängt wurde. Die so gehaltenen Fische hätten über längere Zeit eine erhebliche Steigerung der Atemfrequenz gezeigt; außerdem sind vermehrt Schäden an der Körperoberfläche aufgetreten. Ein Setzkescher muss jedoch in horizontaler Richtung ausgelegt werden, so dass die Fische eine Wasserstrecke von ca. 3 m zum Schwimmen zur Verfügung haben. Diese Versuche seien daher nicht repräsentativ (schon vom Ansatz her verfehlt!) gewesen. Der Sachverständige Prof. Dr. Klausewitz habe seine Beobachtungen an Futterfischen gemacht, die unter nicht näher bekannten Bedingungen lebend in den Frankfurter Zoo transportiert wurden! Aus diesem für die Durchführung von Versuchen sehr fragwürdigen Fischmaterial hat Klausewitz einige, ihm geeignet erscheinende Fische aussortiert, um sie anschließend in einem Aquarium in einem Setzkescher zu halten. Auch diese Versuchsbedingungen seien als ziemlich fragwürdig einzustufen.
Prof. Dr. Schreckenbach hat in seinem Gutachten 1999 erklärt, bei korrekter Anwendung eines Setzkeschers werden zwar "erhebliche Stressreaktionen", aber keine länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen bei den Fischen erzeugt. In Untersuchungen von Schreckenbach an Regenbogenforellen, Plötzen und Rotfedern im Setzkescher mit einem Bestandsgewicht von bis zu 30 kg/m³ ist unter wissenschaftlich definierten Bedingungen ermittelt worden, dass die Fische durch die achtstündige Setzkescherhälterung keine Anzeichen von Adaptionskrankheiten bzw. Leiden und Schäden aufwiesen. Im Verlauf einer achtstündigen Hälterung klingen die Stresssituation ab und die Fische erholen sich vom anfänglichen Fang- und Hälterstress. Der Stoffwechsel der Fische ist nach Verbringen in einen Setzkescher als normal einzustufen. Das Fehlen normabweichender Änderungen des Stoffwechselniveaus ist ebenso wie das in anderen Untersuchungen dokumentierte Fehlen von Erregungszuständen (Erhöhung der Atemfrequenz, vermehrte Schwimmbewegungen) als Beweis zu bewerten, dass den Fischen keine länger anhaltenden, erheblichen Leiden zugefügt werden!
Zusammenfassend stellte der Sachverständige Günther fest, dass die Verwendung eines 3,5 m langen und 0,5 m breiten Setzkeschers mit knotenlosem Gewebe ordnungsgemäß ist. Ein Verstoß nach dem Tierschutzgesetz konnte dem angeklagten Angler nicht nachgewiesen werden, worauf das Verfahren eingestellt wurde.

Redaktionell bearbeitet
Dr. Thomas Meinelt
Referent für Umwelt und Gewässer

>> Ist doch interessant!
Herzliche Grüsse
Kurt
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