Eine Island-Story: Lachs am Bambus
Ein Beitrag & Fotos von Christian Thalheimer
A salmon on a bamboo…?” Die Frage des altgedienten Fischers klingt ungläubig, staunend, aber auch leicht überheblich. „Crazy idea!” schiebt er im harten schottischen Dialekt nach und nimmt einen guten Schluck von seinem Dalwhinnie. Gerade war ich an der Ost-Ranga in Island angekommen und gesellte mich zu jenen, die schon ein paar Tage am Fluss verbracht hatten. Die üblichen Geschichten: Vom ganz Großen, der kurz vor dem Netz des Guides noch ausgehängt hatte. Von frustrierenden Schneider-Tagen. Vom verdammten Wetter, das mitten im Juni so schlecht war, dass selbst die Isländer fluchten. „Vier Jahreszeiten an einem Tag“, heißt es, könne man in Island erleben. Zumindest drei gab es täglich: Herbst Winter, Frühjahr – der Sommer fiel aus. Grade mal fünf Grad hatte das Wasser und war damit an manchen Tagen noch wärmer als die Luft. Die Lachse – so sie denn da und die Erzählungen glaubhaft waren – waren groß und kampfstark, standen aber tief und waren beißfaul. Die Geschichten meiner neuen Fischerkameraden aus Schottland, England, Frankreich und Island klangen nach harter Arbeit und viel Frustration. Und dann kommt das dieser junge Kerl, keine Ahnung vom Leben, gerade mal so alt, wie mancher auf dieser Couch schon am Wasser steht und will sich doch allen Ernstes mit einem kleinen Einhänder aus Gras an die isländischen Lachse wagen. „Crazy idea!“, Slàinte!
Erst jetzt fange ich selbst an zu zweifeln. Wie kam ich Spinner damals nur in einem Überschwang an Selbstvertrauen darauf, zu Kurt zu sagen: „Gib Du mir eine Rute, die es aushält und ich beweise Dir, dass man damit einen Lachs fangen kann“. Kurt hatte mich vor gerade mal vier Jahren einer seiner Gespließten vorgestellt. Zugegeben, es war nur Liebe auf den zweiten Blick, denn wie eine schöne Frau war sie nicht leicht von meinen Avancen zu überzeugen. Die Dynamik dieser Zahnstocher, besser die fehlende Dynamik, brachte mich an den Rand des Wahnsinn. So lang, bis ich plötzlich zum ersten Mal einen anständigen Wurf damit hinbrachte. Und noch einen, und noch einen und immer häufiger. Und dann zog eine von Kurts Wunderwerken in meinen Harem ein. Und noch eine, und noch eine… Am tosenden Forellenbach oder im flachen, breiten Äschenfluss wuchs die heiße Liebe zum Bambus. 

Doch nicht so, dass ich zum Bambus-Monogamist mutiert wäre. Schon alleine der Wurfdistanzen wegen schätze ich beim Lachsfischen durchaus einen Zweihänder, von der Sinkleine und den schweren Fliegen gar nicht zu reden. Doch eine Woche Fischen in Island ohne wenigstens ab und zu die Geschmeidigkeit einer Gespließten zu haben? Da fehlte mir dann doch was. So reifte die wahnwitzige Idee.

„Kurt, hat schon mal wer einen Lachs an einer Deiner Ruten gedrillt? Könnte das klappen?“ Kurt überlegte nur kurz. Nein, mit einem Lachs hatte es noch keine seiner Ruten aufgenommen. Und ja, das könnte klappen. Klar, die Alten fischen über Jahrzehnte mit Bambus auf Lachs, aber lange große Zweihänder, dick wie Baumstämme. Das war nicht gerade Kurts Kaliber: Federleichte Bachruten, so um die Gewichtsklasse vier, das ist seine Paradesdisziplin.

Aber Moment, da er hatte er doch noch… und schon kramte Kurt in einer Ecke. Wenig später stellte er mich meiner neuen Liebe vor: Etwa 2,10 Meter lang, feingliedriger Körper, kräftiges Rückgrat und ein Fuß aus Metall. Ich gestehe, Liebe auf den ersten Wurf war es wieder nicht, denn die Schönheit von Kurts Ruten ließ sie etwas vermissen, mit ihrem Rollenhalter aus Edelstahl und Messing. Sie ist eher ein Prototyp, so Kurts Erklärung, eine 13fach-Gespliessete, macht gerne Pirouetten mit sich selbst. In der Tat, so richtig gerade gewachsen war sie nicht und deswegen stand sie in Kurts Rutensammlung auch nicht am prominentesten Platz. Aber mit einer 6er Leine, wenngleich leicht überladen, gab sie eine prima Figur ab. Damit sollte auch ein Sinktip samt Tubenfliege noch rausgehen. So wagten wir also die Reise.
Und da waren wir nun, hatten Flug und Desinfektion unbeschadet überstanden und mussten uns jetzt von ein paar besoffenen Schotten auslachen lassen. Die Guides reagierten ähnlich verwundert und ich glaube all jene, die mich nicht als Gast betreuen mussten, waren froh und grinsten sich eins. Oli, der Headguide an der Ost-Raga hatte das „große Los“ gezogen. Es reagierte freundlich auf mein Ansinnen, aber nunja, nicht gerade euphorisch. An Beat vier war unsere erste Session. Ich sah den Pool und fand: Wenn nicht hier, wo dann?! Die Bank im Rücken war niedrig, Überkopfwürfe lagen also drin, und das Wasser war nicht sonderlich tief. Der kurze Polyleader und eine leichte Fliege sollten reichen, um auf Tiefe zu kommen. Fand ich. Fand Oli nicht. Klar könnte ich jetzt drauf bestehen, aber gleich nach  der ersten Schicht, noch dazu in einem als gut bekannten Beat, als Schneider nach Hause kommen? Und den Schotten noch mehr Anlass zum Spott bieten? Lieber nicht, also raus mit dem Zweihänder. Tatsache, die ersten zwei Fische landeten in den folgenden sechs Stunden im Netz, Lachse waren also da. Der Wind frischte an diesem Abend immer mehr auf, der Regen kam von vorne, sodass ich durch die tropfenübersäten Brillengläser rein gar nichts mehr sehen konnte. Ich war froh, den robusten Zweihänder zu haben. Vermutlich hätte meine Bambusrute bei dem Wetter binnen Stunden neues Grün angesetzt. Sorry, mein Mädchen, nächstes Mal bestimmt. 
Nächstes Mal, das war dann Beat neun. Der oberste Flussabschnitt, in dieser Saison hatte hier noch niemand einen Fisch gefangen. Der Regen wusch den Gletscherschliff in Strömen ins Wasser, der Wind knallte mir fast den Drilling ins Gesicht. Die Fluten tosten um die Steine und meine Füße. Ich quälte mich den Fluss hinab: Wurf, Menden, Schritt, Swing, Strip, Wurf, Menden, Schritt, Swing, Strip, Wurf, Menden… fünfeinhalb Stunden lang. Ohne einen Zupfer, ohne auch nur einen Schwanz zu sehen. Oli meinte ganz am Anfang, ganz oben am ersten Stein, einmal ein Blitzen gesehen zu haben. Aber auch er war sich nicht sicher, könnte auch eine optische Täuschung gewesen sein, denn die Fata Morgana tauchte gerade auf, als wir unsere tägliche Dosis Sonnenschein – etwa fünf Minuten – genossen. Also fünfeinhalb Stunden Zweihänderwedeln für nichts. Ich hatte die Schnauze voll, jetzt war’s eh schon wurscht, fand ich, dann erfreue ich mich wenigstens am geschmeidigen Wurfgefühl einer Bambusrute.
Zurück zum Auto, den Grashalm auspacken und Abmarsch zum Stein der Fata Morgana. Oli hatte zu dieser Idee eine klare Meinung: Er ließ das Netz gleich im Kofferraum… Bis Polyleader und eine unbeschwerte Bismo-Tube an der Leine hingen, waren nun fünfdreiviertel Stunden vergangen. Noch 15 Minuten, bis die unbarmherzigen isländischen Fischerregeln den Feierabend an diesem Beat befahlen. Erster Wurf – Baum. War doch klar, sind halt keine 13 Fuß, aber dass ich ausgerechnet den einzigen Baum auf dieser elendigen gehölzfreien Insel erwischen muss! Oli kann sich das Grinsen kaum verkneifen. Zweiter Wurf, nicht halb so weit wie mit dem Zweihänder, Menden, Drift, Strip, Wurf – schon etwas weiter – Menden, Schritt, Drift, Stripp. Noch 13 Minuten. Immerhin sinkt die Fliege tief genug, die Montage mit der kurzen Rute samt Sinktip und Leine aus dem Wasser zu kriegen, ist ein kleiner Kraftakt. Wurf, Menden, Schritt, Swing, Strip, Wurf – jeeeetzt kommt es, das geschmeidige Bambus-Gefühl, die Leine schießt genauso weit wie mit dem Zweihänder – Menden, Schritt, Swing, Strip. Oli wird langsam neugierig, als er merkt, dass wir doch noch in die Nähe seiner Fata Morgana kommen. Ist da vielleicht doch ein Fisch? Wurf, Menden, Schritt, Swing, noch elf Minuten, Strip, Wurf, Menden, Schritt, Swing, Strip. „Tenminutesleft, Christian“. Ja danke, Oli, ich weiß!! Jetzt bitte bloß keinen Hänger, sowas kann ich jetzt gar nicht brauchen. Wurf, Menden, Schritt, Swing, Stripp, Hänger! Mist! Der Hänger bewegt sich…? Er bewegt sich! „Beweeegt sich!“
Rute hoch, am Rad drehen wie ein Wahnsinniger, um die lose Leine auf die Rolle zu kriegen und dann Contra geben. Der Fisch liegt in der Strömung wie ein Brett. Erste Lektion: Der Hebel eines 13-Fuss-Zweihänders macht den Kampf einfacher. Zweite Lektion: Und frisst den halben Spaß! Ob die kleine Bambusrute das mitmacht? Fürs erste reißt der Fisch mal die Leine von der Rolle. Hallo Backing, so schaust Du also aus? Wir haben uns auch schon länger nicht mehr gesehen. Raus aus dem Wasser und hinter dem Fisch her, jetzt müssen die Füße die Rute unterstützen. Wild  mit dem Kopf schüttelnd, nimmt er nur noch häppchenweise Schnur von der Rolle. Plötzlich steht die Rolle still, was ist los? Wo geht diese Flucht nur hin, warum zieht er nicht mehr. Da bemerke ich, dass der Eindruck täuscht. Der Fisch kämpft noch immer, schlägt nach wie vor wie wild um sich. Aber die Rutenspitze, ach was, die ganze Rute wippt, als sei sie auf Ecstasy. Der kleine Grashalm nimmt die Stöße auf wie eine Feder. Und zwar komplett. Der Fisch kämpft nur noch gegen die Flexibilität der Rute, die Rollenbremse kann in den Feierabend gehen. Sollte die Rute vielleicht doch gerade weil sie so flexibel ist, das perfekte Gerät sein? Hab ich sie unterschätzt? Ich gewinne Vertrauen in mein Mädchen. Seit fünf Minuten tobt jetzt der Fisch. Inzwischen glaubt auch Oli an eine Chance, den Fisch zu landen. Er schlägt sich durch die Büsche, das Netz holen. So ein Kampf geht wahnsinnig auf die Arme, wenn man die Rute nicht lässig in der Hüfte abstützen kann, sondern die geballte Kraft des Fisches und der Strömung im Handgelenk hat. Das Tosen der Fluten rauscht mit dem Blut in meinen Ohren um die Wette. Jetzt Leine einholen. Mein Backing hab ich inzwischen wieder. Oli ist wieder da und kommt zu mir ins Wasser, wohin mich der Fisch inzwischen wieder gezwungen hatte.
Die Rute biegt sich zum Halbkreis, der Lachs nimmt nochmal Fahrt auf, reißt den Backingknoten mit und springt aus dem Wasser. „Oh, that’s a serious fish!“ ruf Oli. Ja was glaubst Du denn, warum ich hier so kämpfe! Mein Arm wird langsam taub. Die Kraft für einen lockeren Spruch “Twominutesleft, Oli!” bleibt mir aber noch. 
Jetzt nur keinen Fehler machen, wenn mir der vom Haken geht, gibt es so schnell keinen zweiten Versuch mehr für Madam Bamboo und mich. Der Backingknoten wieder da. Ein Teil der Leine auch. Weit vorne taucht der Polyleader auf – hinter ihm ein stattlicher Schatten. Jetzt will auch Oli den Triumph und schleicht wie auf Zehenspitzen – wer kann das schon in Watstiefeln – an den Lachs heran, der nur noch träge hin und her paddelt. Aber nur so lange bis er das Netz am Schwanz spürt und nochmal explodiert. Er ist noch nicht fertig und gibt nochmal Gas bis ins Backing. „Nominuteleft“, murmle ich in meinen Bart, als der Polyleader wieder auftaucht und Oli „Kahn“ mit dem Netz förmlich einen Hechtsprung hinlegt um unseren Bambuslachs endlich Dingfest zu machen. Die Spannung ist weg, das Netz noch im Wasser, Oli rappelt sich auf, sieht es zu sich heran und hebt triumphierend einen herrlichen Lachs aus dem Wasser. Just in time.
Ein Prachtfisch, 77 Zentimeter lang, 4,5 Kilo schwer, silberblank. Nach britischer Maßeinheit ein Zehnpfünder. Kratzer in den Schuppen und eine kleine Wunde zeugen von einer bösen Auseinandersetzung mit einer Robbe. Jetzt werde ihm klar, erläutert Oli, warum der Fisch so hart gekämpft hat. Er war noch stinksauer von der Robbenattacke und verteidigte seinen Standplatz mit aller Gewalt. Sorry Kamerad, mit mir hast Du vergebens gekämpft. Der Lachs landet im Räucherofen, er ist Kurt als Zusatz-Honorar versprochen.

Oli und ich sitzen einen Moment sprachlos am Ufer. Der Grashalm hat es tatsächlich geschafft und wenn man es in Ruhe überlegt, sogar souverän. In meinem Gesicht meißelt sich gerade ein Grinsen ein, bis hinter die Ohren. Was für ein Kampf, was für ein Spaß. Bambuslachs wird mein neues Lieblingsrezept. 
Und die Schotten? Sagten kein Wort mehr, als sie am Abend den Fisch und die Rute dazu sahen. Geglaubt haben sie es aber erst, als Oli schwor, dass sich all das tatsächlich so zugetragen hatte...
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PS: Insgesamt habe ich in dieser Woche vier Fische am Bambus gefangen, die sind hier gemischt zu sehen....

Kleiner Datenblock / Lachsfischen in Island:
- Grundsätzliches / Wissenswertes über Island (KLICK)
- Anreise: mit Flugzeug oder Fähre
- Offizielle Tourist-Informationsseite Island (KLICK)
- Angling.is / Federation of Icelandic River Owners (KLICK)
- NASF / North Atlantic Salmon Fund (KLICK)
- S.V.F.R. (THE ANGLING CLUB OF REYKJAVIK) (http://www.svfr.is)
- LAX-A, Reykjavik (www.lax-a.net)
- Achtung: Lachsangelgerät-Desinfektionspflicht in Island beachten! (KLICK)
- im Fliegenfischer-Forum bisher erschienene Island-Reiseberichte:
- Island 2012 - The Story Of Joy… | Ein Reisebericht von Andreas Eckl (2012)
- Islands Meerforellen – Springerfischen am Húseyjarkvísl | Reisebericht von Carsten Dogs (2012)
- Auf Lachs in Island im Sommer 2011 | Reisebericht von Andreas Eckl (2011/2012)
- Island 2007 - Im Auge des Stiers - Frühherbstliches Fliegenfischen in Island | Von Marcus Ruoff (2007/2009)
- Breidalsa, Minnivallalaekur, Grenlakuer - Fischen in Island | Von Christoph Meyer (2005)
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© Ein Beitrag und Fotos von Christian Thalheimer für www.fliegenfischer-forum.de - Mai 2014.
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