Ein Expeditions-Reisebericht von Clemens Ratschan
ZWISCHEN JANA UND LENA
Teil 3: Herbst war Gestern
Als wir vom See zurückkommen, gilt unsere Sorge dem zurück gelassenen Proviant. Glücklicherweise finden wir die in den Bäumen hängenden Packsäcke von Bären unversehrt wieder. Der Fluss Sobopol, den wir vor unserem Ausflug zum See herunter gefahren sind, heißt ab der Mündung des Mjachen Soboloch-Majan. Bis zur Mündung in die Lena haben wir noch 315 Kilometer zu paddeln und dafür 12 Tage Zeit. Es bleibt also neben der Bewältigung des Rückwegs noch Reserve, um in diesem Flusssystem ausgiebig zu fischen.
Einfahrt in den Soboloch-Majan
Das Depot ist unversehrt
Lagerplatz an der Mjachen-Mündung
Weiterfahrt auf dem rasch fließenden Mittellauf
Wie sich schon beim ersten Fischereiversuch heraus stellt, ändert sich ab der Mjachen-Mündung die Fischbesiedelung: Lenoks („Sibirische Forellen“) lösen die Lena-Äschen als Hauptfischart ab. Die unmittelbare Mündung des großen Zubringes Mjachen ist tief und schaut sehr Großfischverdächtig aus. Wir beackern die Stelle ganz intensiv und fangen einige schöne Lenoks. Ein deutlich größerer Fisch steigt leider nach wenige Sekunden dauerndem Drill aus, wäre das der heiß ersehnte Sibirische Huchen (Taimen) gewesen? Wir wollen uns in den nächsten Tagen vermehrt darauf konzentrieren, einen dieser begehrenswerten Räuber zu fangen!
Lenokfang an der Mündung
Vergleich der beiden Lenokformen
Hier ist aber der Lenok dominant, und zwar die stumpfnäsige Art (Brachymystax savinovi). Wir fangen nur ganz vereinzelt auch Spitznasen-Lenoks (Brachymystax lenok). Im Mittel- und Unterlauf wird aber diese zweite Form häufiger, bis im Unterlauf beide Arten etwa gleich stark vertreten sind. Dabei ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass wir mit unseren großen Ködern selektiv die großen Exemplare fangen, sodass die Spitznasen-Lenoks möglicherweise unterrepräsentiert sind. Sie bleiben mit meist 50 - 60 cm (größter Fisch 62 cm) deutlich kleiner als die Stumpfnasen-Lenoks, die typischerweise 60 - 70 cm messen. Das größte Exemplar erreicht die für einen Lenok bemerkenswerte Länge von 78 cm!
Stumpfnasen-Lenok
Spitznasen-Lenok mit den charakteristischen, purpurnern Flecken
Streamern auf Taimen während einer Paddelpause
Schöner Lagerplatz

Herrliche Abendstimmungen...

... und wieder geht der Mond über den Bergen auf
Ich untersuche den Mageninhalt aller für Speisezwecke entnommenen Lenoks. Fast immer finden sich darin kleine Koppen (Cottus sibiricus) in größerer Zahl, vereinzelt auch kleine Salmoniden, darunter Exemplare von 15 cm Länge. Wirbellose sind meist ebenfalls vertreten, spielen quantitativ aber eine untergeordnete Rolle. Besonders bemerkenswert ist, dass ich in jedem zweiten Lenokmagen eine Maus finde, in einem Fall sogar zwei Stück. Schon erstaunlich, dass Mäuse in so großer Zahl ins Gewässer wandern oder stürzen und dabei diesen Raubfischen zum Opfer fallen. Gesetzt die Annahme, die Lenoks gehen nicht zum Mäusefangen in den Wald! Fellmäuse entpuppen sich dann auch als äußerst fängige Köder und bieten an der Fliegenrute eine aufregende Fischerei.
 
<= 2:13 min Film auf Vimeo: Lenokfang auf Maus...

Mageninhalt eines Spitznasenlenoks: 2 Mäuse



Große Stumpfnasenlenoks en masse
Mittagspause mit Nudelimbiss
Portrait eines Stumpfnasen-Lenok
Blick zurück am Rand der Berge
Heimkino

Paddel-Pausen
Der Fluss wird größer, hier ist die Fließgeschwindigkeit aber noch günstig
Nach den vielen Spuren die erste Großtier-Sichtung, ein weiblicher Elch
Parkgarage
Herrliche Lichtstimmungen und Lagerplätze

Süße Wildnisküche (Backteig, Schokocreme, Preiselbeermarmelade)...

Das Wetter hat sich in den letzten Tagen immer mehr verschlechtert. Meist weht ein kräftiger Wind, und immer wieder fegen Regenschauer über die Landschaft, die Temperatur ist auf knapp über Null gefallen. Es ist jetzt fast zu kalt zum Fischen geworden. Wir paddeln so lange, bis uns am nicht bewegten Unterkörper zu kalt geworden ist. Dann machen wir Pausen, um uns am Ufer mit Feuern aufzuwärmen. Anschließend paddeln wir so rasch wie möglich weiter, um abends am Lager Wind- und Regenschutz und große Wärmefeuer zu errichten. Am 25. August wird der Regen zum Schneeregen und schließlich zu einem dichten Schneegestöber. Die weiße Pracht bleibt über Nacht liegen und wirft einen lockeren Teppich über die gelb-rot verfärbte Vegetation. Die noch ein paar Grad kältere Temperatur akzeptieren wir lieber als Wind und Regen.
Es wird kalt, der Fluss dampft
Pause am Wärmfeuer
Schneewolken im Rücken


Schneegestöber am 25. August!
Als der Schnee wieder geschmolzen ist sieht die Taiga so aus
Wärmfeuer
Herbstliche Farben im Wind
i
Jakob fängt den größten Lenok (78cm)
Kleinerer Spitznasen-Lenok
Flusslandschaft im Unterlauf
Klassische Hechtplätze...
... mit Bewohner
Trotz der Kälte befischen wir auf dem Weg stromab alle besonders „verdächtig“ aussehenden Stellen. Als solche sprechen wir Zubringermündungen, Strömungskanten und vor allem die nur an wenigen Stellen am Prallhang anstehenden Felsstrukturen oder Blockhalden an. Tatsächlich bringt trotz der schon riesigen, über weite Strecken strukturarmen Gewässerfläche fast jeder Fischerei-Stopp an solchen Stellen rasch Bisse. Es handelt sich auch im Unterlauf noch vorwiegend um Lenoks, die hier tendenziell noch größer sind als im Mittellauf. Immer öfter, vor allem in Buchten zwischen Totholz, gehen aber Hechte an den Haken. Erstaunlicherweise fangen wir mit dem schweren Spinnzeug sogar Renken sowie einen Flussbarsch.
„Heiße“ Stelle mit Felsbrocken auch unter Wasser
Renke
Schöner Hecht aus dem Unterlauf
Stoßzahn eines Wollhaarmammuts
Packraft vor hohem Prallufer
Wir konzentrieren uns 12 Tage lang mit großer Zuversicht bei der Stellen- und Köderwahl auf den Fang von Sibirischen Huchen (Taimen). Leider können wir aber kein einziges Exemplar fangen. Auch intensive Bemühungen in der Dämmerung und frühen Nacht – meist die beste Zeit zum Taimenfang – bleiben erfolglos. Sollten wir deshalb enttäuscht sein? Rückblickend finde ich nein, denn diese Tour führte uns durch eine grandiose Naturlandschaft und die Fischerei auf viele andere Arten war phänomenal gut. 

Aus mehrerlei Gründen gehen wir schlussendlich davon aus, dass hier gar keine Taimen vorkommen, zumindest nicht zu dieser Jahreszeit. Der außergewöhnlich dichte Bestand großer Lenoks deutet auf das Fehlen einer deutlich größeren Raubfischart hin. An den besonders günstigen Raubfisch-Einständen finden wir die allergrößten Lenoks, die diese Plätze ungeniert besetzen, aber nie Taimen. Auch kein einziger Jung-Taimen lässt sich fangen - üblicherweise kein seltener Beifang bei der Lenokfischerei in Taimengewässern. Wir finden auch am Ufer keine Hinweise in Form von Knochen oder Wirbeln, die auf ein Vorkommen schließen ließen. Seltsam, gelten doch benachbarte rechtsufrige Zubringer der Lena (z.B. Menkere, Undyulyung) als ausgezeichnete Taimen-Flüsse. Auch in der Lena selbst werden diese nahen Verwandten des heimischen Huchens von den Einheimischen nach wie vor gefangen, vor allem mit Kiemennetzen im Winter. Wahrscheinlich bevorzugen die Taimen andere Flüsse als den Soboloch-Majan als Laich- und Fresshabitat im Sommer. 

Auf etwa 100 Kilometern im Mittellauf befahren wir einen sehr attraktiven, sich meist dynamisch verzweigenden Fluss mit kiesigen Ufern und wunderschönen Lagerplätzen. Wir befinden uns im Hügelland am Übergang zwischen dem Werchojansker Gebirge und dem Mitteljakutischen Tiefland, deren weite, sumpfige Taiga sich beiderseits entlang der Lena erstreckt. Auf den untersten 200 Kilometern durchschneidet der Soboloch-Majan dieses Tiefland und weist nur mehr sehr wenig Gefälle auf. Die verbleibenden 85 Höhenmeter bis zur Lena bauen sich lokal auf Furten mit grober Steinsohle ab. Dazwischen liegen 200 bis 300 m breite, träge fließende, immer stärker mäandrierende Abschnitte. Die Befahrung solcher Flüsse, die nur aus der Vogelperspektive attraktiv aussehen, mit einem langsamen Schlauchboot ist langweilig und mühsam, gilt es doch laufend Mäanderschlingen von 2 bis 5 km Länge in eine Richtung und anschließend in die fast 360° entgegen gesetzte Richtung zu überwinden. Der starke Wind tritt dabei zwangsläufig auch als lähmender Gegenwind in Erscheinung. Die Ufer sind monoton und bestehen nicht nur am Prallufer, sondern sogar über große Teile der Gleitufer aus steilen, sandigen Böschungen mit dichtem Bestand niedriger Weidenbüsche. Oft ist viele Kilometer lang kein ebener Lagerplatz zu finden. Glücklicherweise treten in Abständen der 30 Kilometer langen Tagesetappen auch etwas dynamischere Abschnitte mit freundlicherer „Benutzeroberfläche“ auf, die wir als Lagerplatz und zum Erbeuten der täglichen Fischnahrung nutzen.

Sehr unattraktives Ufer mit steilem Feinsediment
Auf großer Wasserfläche bei Gegenwind
Charakteristisches Flussufer im Unterlauf
Typisches Steilufer der kilometerlangen Mäander-Außenbögen
Hohe Anbruchufer sind spektakulärer
Große Wasserflächen im Unterlauf
Packrafts vor der Mündung in die Lena
Flusskrümmung kurz vor der Mündung in die Lena (Panoramabild anklicken zum Vergrößern)
Ankunft im Fischerdorf nahe der Mündung des Soboloch-Majan
Am 26. Tag draußen, und 21 Tage nach der letzen Begegnung mit anderen Menschen, erreichen wir den Mündungsbereich und steuern das kleine, an einem Seitenzubringer gelegene Fischerdorf Kystatyam an. Wir wenden uns an den ersten Menschen, der uns im Dorf begegnet. Zufällig handelt es sich um den einzigen Russen des ansonsten von Jakuten besiedelten Dorfs. Er quartiert uns in seinem Haus ein und bewirtet uns fürstlich. Wir feiern unsere Rückkehr in die Zivilisation ausgiebig, zum Wodka wird gefrorener Weißlachs (Stenodus nelma) und Sibirischer Stör (Acipenser baerii) gereicht. 

Am nächsten Morgen bringt uns ein Motorboot in die nahe gelegene Kleinstadt Zhigansk, 90 Kilometer die Lena stromauf, von wo wir mit Linienflügen über Jakutsk und Moskau wieder nach Hause kommen. Die Lena ist einer der drei größten Ströme Sibiriens. Bei einem mittleren Abfluss von 17.000 m3/s führt sie die 10-fache Wassermenge der heimischen Donau. Hier im Unterlauf verzweigt sie sich in einem 15 bis 30 Kilometer breiten Bett. Ich vertreibe mir die Wartezeit mit einem Halbtag fischen und fange dabei ironischerweise drei Rotaugen, eine Hasel und einen Hecht. Eine schöne Einstimmung auf zuhause, handelt es sich doch um exakt dieselben Arten dieser weit verbreiteten Fische, wie sie auch 6.000 km Luftlinie weiter östlich vorkommen.

Abschied von Kystatyam
Motorbootfahrt auf der riesigen Lena
Oben Hasel, unten Rotauge
Hecht aus der Lena
Schönes Lena-Prallufer bei Zhigansk
Nebenarme und herbstliche Au der Lena aus dem Flugzeug
Solche Tieflandflüsse schauen aus der Vogelperspektive wunderschön aus, sind aber mit dem Schlauchboot nur mühsam zu befahren (Foto aus dem Flugzeug beim Rückflug)
Mäandrierender Zubringer und Nebenarme der Lena
Die Dimensionen der Lena sind unfassbar – hier im Abendlicht
Liste der gefangenen Fischarten je Gewässer
Deutscher Name Wissenschaftlicher Name
Soboloch-Majan
Lybalach See
Spitznasen-Lenok Brachymystax lenok
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Stumpfnasen-Lenok Brachymystax savinovi
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Renke Coregonus sp.
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Sibirische Koppe Cottus sibiricus
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Hecht Esox lucius
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Flussbarsch Perca fluviatilis
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Elritze Phoxinus phoxinus
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Arktischer Saibling Salvelinus alpinus s. l. 
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Arktische Äsche Thymallus arcticus
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Lena-Äsche Thymallus baicalolenensis
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So war die Route dann letztendlich (vgl. Karte im Teil 1)


Die Teile 1 + 2 dieses dreiteiligen Reiseabenteuers findest Du hier ==>
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Ein Reisebericht in drei Teilen von Clemens Ratschan für www.fliegenfischer-forum.de - März bis Mai 2017. Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten.
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