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Ein Reisebericht von Clemens Ratschan Surviving Sajan – wo die Mongolei am wildesten ist Teil 1: Aufregung am Taimenfluss |
Einleitung
Das nördlichste Eck der Mongolei kann man getrost als Sehnsuchtsort bezeichnen. Während der Großteil dieses riesigen zentralasiatischen Landes in den letzten zwei Jahrzehnten mit Asphaltstraßen erschlossen wurde und durch die damit unweigerlich einhergehenden Entwicklungen stark an Ursprünglichkeit und Wildheit eingebüßt hat, ist dort im Norden die Zeit fast stehen geblieben. Nur kleine, zeitweise schwer befahrbare Pisten führen von der Provinzhauptstadt Mörön (oder vom Huvsgul-See) in das Gebiet des Darhad-Beckens, das gemeinsam mit den umliegenden Gebirgen die Fläche Niederösterreichs übertrifft, und doch nur von einigen wenigen tausend Menschen besiedelt wird. |
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Erdstraßen
verbinden das weitläufige Gebiet mit dem Rest der Welt
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Jurten
im Darhad Becken
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Riesige
Viehherden, im Hintergrund die markante Horidol Saridag Kette
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Das Becken wird im Osten durch die schroffe Horidol Saidag Kette und im Norden und Westen durch die bis deutlich über 3000 m hochragenden Gipfel des Ostsajangebirges geprägt. Mitten durch diese wilde Berglandschaft schneidet der Fluss Shishkhid, der aus den Seen im Zentrum des flachen Beckens fließend auf mehr als 80 km Länge Richtung Westen in die autonome russische Republik Tuwa führt und dort Kleiner Jenissei genannt wird. Am Rand des Darhad-Beckens geht die mongolische Steppe in eine geschlossene Lärchentaiga über, welche die riesigen Weiten Ostsibiriens fast bis hoch ans Polarmeer bedeckt. Nirgendwo ist die Mongolei wilder, und auch nirgendwo ist sie „sibirischer“ als in diesem abgelegenen Eck. |
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Taiga im
Tal des Shishkhid
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In Zeiten wie diesen,
wo Reisen nach Russland zwar prinzipiell möglich, doch weder erstrebens-
noch empfehlenswert sind, bietet dies für Jakob und mich die entscheidende
Motivation, hier her zu kommen. Im Zuge früherer Reisen haben wir
bereits den weiteren Verlauf des Flusses auf der
tuwinischen Seite bereist (siehe Reisebericht #327), ich war viele Jahr zuvor auch schon an den mongolischen Oberläufen unterwegs (siehe Reisebericht #299). Es fehlt jetzt also nur mehr das Herzstück zwischen dem See und der mongolisch-russischen Grenze. Die zentrale Herausforderung für die Bewältigung dieses Abschnitts ist die Kombination aus schwerem Wildwasser, unzugänglicher Topografie und großen Distanzen. Für eine Befahrung wären eigentlich für wuchtiges Wildwasser geeignete Boote notwendig, mit schweren Booten kann man aber nicht mehr aus eigener Kraft durch die Schluchten oder über die Berge zurück in die Zivilisation kommen. Ich habe mir schon seit 15 Jahren den Kopf zerbrochen,
wie man eine praktikable Tour in diese Gegend legen könnte, etwa durch
Zurücklassen eines Raftingboots. Nun wollen wir es endlich versuchen,
und zwar doch mit leichten Packrafts. Dabei wollen wir größtmögliche
Vorsicht walten
Die Anreise Die Anreise steht unter keinem guten Stern. Ich werde in den Wochen davor von einer hartnäckigen Atemwegsinfektion geplagt und muss ein Antibiotikum nehmen, mit den üblichen Nebenwirkungen. Den knapp getakteten Anschlussflug von der Hauptstadt Ulaanbaatar in die Provinzhauptstadt Mörön versäumen wir und verlieren dadurch einen wertvollen Tag. Vor unserer Ankunft führen heftige Niederschläge im Darhad-Becken zu Hochwässern und unpassierbaren Straßen. Unser Fahrer muss einem Bekannten aus der Patsche helfen, der irgendwo festhängt, wodurch sich der Aufbruch um einen weiteren halben Tag verzögert. Eine übliche Sache die uns nicht weiter nervös macht, ganz im Gegensatz zu den stark gestiegenen Wasserständen in den Flüssen – die können wir auf dem wilden Shishkhid nämlich auf keinen Fall gebrauchen! |
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Unser Fahrer,
Jakob und der unkaputtierbare UAZ Geländewagen
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Schon unvorstellbar, dass diese ganze Region im Norden und Westen völlig unpassierbar, im Süden und Osten nur über ein paar Erdstraßen mit dem Rest der Welt verbunden ist. Bei günstigen Bedingungen braucht man einen langen Tag, um von Mörön hierher zu kommen. Wir schaffen es – teils mehr in Lachen und Flussläufen als auf dem Trockenen fahrend – in eineinhalb Tagen. Der Fahrer unseres UAZ Allradbusses russischer Bauart hat seine Familie mitgenommen und verbindet den Trip mit Verwandtenbesuchen. Das Packen für den mehrtägigen Familienausflug dauerte nur Minuten. Mit europäischen Kindern völlig undenkbar, aber wohl steckt auch in den „Stadtmongolen“ noch immer ausreichend „Nomadenblut“ - die drei mitgebrachten Sprösslinge machen den langen Ritt über die buckelige Piste ohne jegliches Murren mit. Kindersitze und Sicherheitsgurte sind natürlich hier kein Thema. Nach Beendigung der Tagesetappe in absoluter Dunkelheit durch regendurchnässte Wiesen und Bachbette machen wir bei einer kleinen Siedlung halt, wo wir allesamt in einer Jurte nächtigen. Am nächsten Tag steuern wir schließlich eine Jurte in der weitläufigen Ebene an. Die Kinder freuen sich ihre Cousinen und Cousins zu sehen, und wir werden auf die üblichen Spezialitäten eingeladen, die für mitteleuropäische Mägen nur bedingt zu empfehlen sind. |
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Impressionen
von der Anreise ...
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Ankunft
bei der Jurte der Verwandtschaft
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Schon geht’s weiter,
bis wir am frühen Abend den Ort am Dood Tsagaan See passieren und
wunschgemäß an dessen Ausrinn abgesetzt werden. Dieser ist großteils
seenartig erweitert, sodass wir zwar bemerken, dass der Wasserstand einige
Dezimeter über Normal liegt. Wie sich das auf die Strömung auswirkt,
werden wir aber erst in den nächsten Tagen wissen und am eigenen Leib
verspüren. Dem Fahrer scheint unser Vorhaben jedenfalls nicht sehr
geheuer zu sein. Vor der Verabschiedung möchte er nochmal auf Nummer
sicher gehen, ob wir die Tour wirklich machen wollen. Ein besseres Gefühl
hätte er wohl gehabt, wenn wir wieder in den UAZ gestiegen wären.
Die erste Zeltnacht in der Stille der Steppe wird ein reiner Genuss, am nächsten Morgen sortieren wir unsere sieben Sachen und beladen die Boote. Erstmalig werden wir auf dieser Tour Packrafts mit „internal storage“ System verwenden, wobei es sich schon um eine geniale Sache handelt. Die Luftschläuche können am Heck mittels luftdichtem Reißverschluss geöffnet werden, sodass links und rechts ein großer Packsack im Bootsrumpf untergebracht werden kann. Der dadurch tiefliegende Schwerpunkt unterstützt eine stabile Lage des Boots im Wildwasser, und die Beladung des auf das Boot geschnallten Rucksacks reduziert sich auf Gegenstände, die rasch greifbar sein sollen. |
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Hier werden
wir mit unserem Zeug abgesetzt
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Sortieren
im Morgengrauen vor dem Aufbruch
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Hier starten
wir die Bootstour
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Mit kräftigen Schlägen legen wir die 20 km lange, seenartige Strecke schon am Vormittag zurück, bis wir an der Mündung des aus dem Norden kommenden Zubringers Tengis Mittag machen. Ein großer Fisch raubt ans Ufer, und beim Ablegen können wir gleich mehrere Taimen („Sibirische Huchen“) erspähen. Es fällt nicht ganz leicht, aber mit der Fischerei wollen wir uns noch gedulden, bis wir den Bereich der hier befindlichen Fischerei-Lodges verlassen haben und ca. 15 km flussab in die menschenleere Wildnis kommen. |
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Kilometerfressen
Richtung Berge
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Erst ab der Tengis-Mündung zeigt der Shishkhid sein zorniges Gesicht – er weist aufgrund des Gefälles von etwa 6 Promille beim vorhandenen Abfluss von jetzt geschätzt 150-200 m3/s eine enorm schnelle Strömung auf und reißt uns wie eine schiefe Ebene auf den Talausschnitt zwischen den Bergen zu. Gröbere Verblockungen oder wilde Katarakte gibt es in diesem oberen Teil noch keine, sodass wir nach anfänglichem Herzklopfen – es ist schon eine furchteinflößende Erfahrung, sich hier mit unseren Miniatur Nussschalen den Elementen auszuliefern – rasch Selbstvertrauen fassen. Die Hälse werden gereckt, um vorausschauend trotz der großen Flussbreite und reißenden Strömung rechtzeitig einen sicheren Kurs zu halten, und vor Schwierigkeiten ans Ufer flüchten zu können. |
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Tengis-Mündung
und Blick Richtung Wildnis in den Bergen
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Der Fluss
wird schnell, aber noch nicht allzu wild
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Heißer
Spot beim ersten Lagerplatz
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Auf dem Bootsritt
wird uns klar, dass günstige Stellen zum Fischen speziell bei diesem
hohen Wasserstand nur in größeren Abständen von teils einigen
Kilometern vorhanden sind. Umso heißer kommen uns die wenigen Kolke
und randlichen Bereiche mit Schutz vor der reißenden Strömung
vor. Am Abend wird’s dann endlich zum Fischen, wir finden einen Lagerplatz
mit verheißungsvollem „home pool“. Jakob gelingt prompt der Fang
des ersten Taimen („Sibirischer Huchen“), bei 62 cm noch fast ein Jungfisch,
aber immerhin ein guter Start. Es folgt eine Reihe von Mini-Taimen um 20
cm, die sich aggressiv auf die unwesentlich kleineren Köder stürzen.
Schon interessant, denn während der gesamten weiteren Reise fangen
wir keinen einzigen kleinen Taimen mehr. Hier war wohl ein „Nest“.
Wie in dem berühmten Buch über Huchen und Taimen von Holcik et al. (1988) nachzulesen ist, handelt es sich bei jener im Shishkhid um die auf der weltweit größten Seehöhe lebende Taimenpopulation, nichts desto trotz weist sie ein für die Art durchschnittlich rasches Wachstum auf. Bei den kleinen Taimen handelt es sich also um Jungfische im zweiten Lebensjahr. Das hängt wohl mit den erstaunlich hohen sommerlichen Wassertemperaturen zusammen, was wiederum daran liegt, dass es sich beim Shishkhid um den Ausrinn des großen, aber seichten Dood Tsagaan Sees auf fast 1600 m Seehöhe handelt. Dieser erwärmt sich, wie auch die seenartigen oberen Abschnitte des werdenden Flusses, stark auf. |
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Noch klein,
aber immerhin der erste Taimen!
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Noch kleiner
– Taimen am Ende des zweiten Sommers
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Ab dem nächsten
Tag gehen wir auf Taimen Intensivmodus. Wir befischen jeden möglichen
Standplatz, wobei es sich um teils wirklich ultraheiß aussehende
Stellen handelt. Beim Befischen metertiefer, durch riesige Blöcke
eingerahmter Kolke steigt der Puls, der Biss eines kapitalen Taimen muss
doch jederzeit bevorstehen. Doch leider Fehlanzeige. Deto am Abend, als
wir bei einem Traumkolk anlegen und feststellen, dass sich hinter dem wunderschönen
Sandstrand im lichten Lärchenwald eine intakte Blockhütte befindet.
Wohl so etwas wie der letzte Vorposten der
Zivilisation für Jäger und Fischer, bevor der Fluss in ein so enges Tal eintritt, dass er auf dem Landweg weitgehend unerreichbar wird. |
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Jakob in
noch gut beherrschbarem Wildwasser
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Ultraheißer
Kolk
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Derselbe
Kolk von oben
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Wir sind zwar sicherlich nicht die ersten, die hier ihr Glück versuchen, aber die Stelle schaut so gut aus, dass es hier einfach klappen muss! Viele Durchgänge mit unterschiedlichen Ködern später – von Rehhaarmäusen über Streamer über Wobbler bis zu Gummifischen – müssen wir zur Einsicht kommen, dass es mit dem großen Taimen auch hier nichts wird. Doch immerhin gibt es ein denkwürdiges Erlebnis. Als Jakob seinen Wobbler zum x-ten Mal durch den Ausrinn des Kolks zieht, spürt er ganz nah am Ufer einen Ruck, und als er den Köder betrachtet, hängen am Haken einige Schuppen. Taimen-Schuppen! Offensichtlich sind diese Kerle sehr wohl da – wohl gar nicht selten wenn man sie sogar zufällig von außen reißt. Sie sind aber offensichtlich ganz und gar nicht in Beißlaune. Wieso, das werden wir schon bald erfahren, doch bis es soweit ist gilt es noch einige so bedrohliche Erlebnisse zu überstehen, dass ausbleibender Fangsegen zu einem Luxusproblem wird. |
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Homepool
mit Sandstrand
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Die Blockhütte
dahinter
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Die erste Kenterung
Am dritten Tag wird der Fluss laufend noch wilder. Wir arbeiten uns vorsichtig weiter vor, sichten und bewältigen die schweren Stellen gewissenhaft, meist ganz nah am Ufer entlangfahrend. Besonders in Erinnerung bleibt eine markante Engstelle, wo der Fluss quasi eine Pforte zwischen einem 2792 m hohen Berg links und einem 3066 m hohen Riesen rechts durchstößt. Ganz am rechten Ufer finden wir einen Weg, wo der Katarakt ohne Umtragen zu befahren ist, allerdings mit erheblichem Adrenalinausstoß, weil wir mehrfach weiter Richtung Mitte ins brausende Wasser ausschwenken müssen, um kleinen Walzen am Ufer auszuweichen. Umso größer das Hochgefühl flussab – eine noch wildere Stelle würde doch nicht folgen, wir würden es schaffen und wieder wohl aus dem verflixten Tal des Shishkhid herauskommen! |
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Vor der
Einfahrt in heftiges Wildwasser
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Im schnellen
Katarakt
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Doch dieser Schluss
ist deutlich zu vorschnell. Der leichte Übermut führt dazu, dass
ich vorausfahrend einen etwas mittigeren Kurs wähle, um die Optionen
offen zu lassen, gleichermaßen rasch zum einen wie zum anderen Ufer
wechseln zu können. Doch zu rasch tauchen unvermittelter
Dinge Walzen auf, die man aus der tief sitzenden Position im Boot erst spät erkennt. In eine fahre ich ein, spüre die gleich Krakenarmen am Boot mit brutaler Kraft zurück in die Falle ziehende Rückströmung, kann aber das Gleichgewicht halten und mich mit forcierten Paddelschlägen aus der fatalen Umarmung lösen. Zu früh gefreut. Die nächste Walze folgt zugleich, ich versuche seitlich auszuweichen, was sich nicht ausgeht sodass ich schräg einfahre. Sekundenbruchteile später kentert das Boot unweigerlich. Inmitten dieses mörderischen Flusses gilt es, die zwei jetzt allerwichtigsten Notwendigkeiten zu bewerkstelligen. Auf keinen Fall das Paddel verlieren, und unbedingt am gekenterten Boot festhalten, was die Gefahr eines Bootsverlustes verringert, oder trotz der Schwimmweste in einer brodelnden Walze zu ertrinken. Beides gelingt, und glücklicherweise konnte der nachfahrende Jakob die eher unauffällige Stelle rechtzeitig erkennen, kühlen Kopfs ausweichen und mir unterhalb zu Hilfe eilen. Ich greife jetzt mit der zweiten Hand nach seinem Boot und halte mich an, während er versucht, mein einem Treibanker gleichendes Gespann ans Ufer zu schleppen. Und zwar so rasch es geht, denn wer weiß mit welchen neuen Gefahren der Fluss gleich aufwartet? Es dauert eine halbe Ewigkeit, der Wasserwiderstand ist schlicht zu hoch. Erst als die Flusssohle vor einer blockigen Furt etwas steigt (drüber zu treiben hätte blaue Flecken mit sich gebracht!), kann ich mit den Füßen mitschieben und wir erreichen endlich das rettende Ufer. Das war Glück! Wie groß die Erleichterung ist, lässt sich vielleicht daran messen, dass ich gar nicht allzu frustriert bin, in den Fluten eine eigentlich gut befestigte Tasche mit einem teuren Teleobjektiv und der Fotodrohne verloren zu haben, die jetzt wohl Richtung Russland treibt. Zu allem Überdruss ist auch die Kamera in der anderen, eigentlich wasserdichten Tasche abgesoffen und streikt. Hauptsache selbst überlebt! |
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Der hässliche
Moment in dem man erkennt, unweigerlich zu kentern. Die action cam hat
alles aufgezeichnet!
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Die Löcher
der Selbstlenzung dienen als rettender Griff
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Jakob schleppt
mich ab und paddelt mit Vollgas
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Trocknen
nach der ersten Kenterung
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Es gilt sich nun zu
setzen, Motivation und Mut zurück kommen zu lassen. Kalt war das Wasser
zumindest nicht, es muss an die 20° warm sein, nach dem langen Bad
weiß ich das jetzt ziemlich genau. Und auch, wieso die Fische so
schlecht beißen. Taimen sind bekannt dafür, bei so hohen Temperaturen
zu verweigern. Fressen sie in der Nacht? Glaub ich auch nicht, denn auch
das nächtliche Fischen haben wir erfolglos probiert.
Fischereilich ruht unsere Hoffnung jetzt auf einigen größeren einmündenden Zubringern, die kaltes Wasser aus den Bergen bringen. Würden sich in den Mündungsbereichen beißwütige Taimen stapeln, die dort dem warmen Shishkhid-Wasser ausweichen? Leider wird auch daraus nichts, die Zuflüsse münden durchwegs seicht und ohne gute Einstände in den Fluss. Allerdings legt sich ein anderer Schalter um: Über Nacht entladen sich die jeden Abend herumziehenden Gewitter mit ausgiebigem Regen. Der Wasserstand steigt noch mal um ein zwei Dezimeter, was den Fluss am nächsten Morgen in einem noch bedrohlicheren Licht erscheinen lässt. Er kühlt sich jedoch merklich ab, und genau das brauchen wir. |
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Herrlicher
Lagerplatz an der Mündung eines Zubringers
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Dieser
schöne Lenok aus dem homepool wird verarbeitet zu ...
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Backfisch
mit Chilisauce und Zwiebel
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Auf einmal fällt
es im Gegensatz zu den Tagen zuvor nicht mehr schwer, den fürs Abendessen
notwendigen Lenok zu fangen. An einer Stelle wo ein steiler Nebenarm rückmündet,
steht hinter einem Felsbrocken ein wirklich großer Lenok, der zweimal
meine Rehhaarmaus nimmt und einmal
einen Streamer, bis er endlich hängen bleibt. Der Shishkhid ist bekannt für große Lenoks (in diesem Einzugsgebiet kommt nur der Spitznasen-Lenok vor, Brachymystax lenok), mit den 68 cm die dieser hier misst ist das Ende der Fahnenstange bei weitem nicht erreicht. Als ich erneut auswerfe, schießt ein knallroter Taimen hervor, wohl fast einen Meter lang, leider kann ich den aber ebenfalls nicht verheften und bekomme keine weitere Chance. |
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Hinter
den Felsen links finden wir eine der besten Stellen des gesamten Flusses
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Der 68er
Lenok
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Surviving Sajan und ausgleichende
Gerechtigkeit
Der Ärger darüber relativiert sich rasch,
als wir eine brausende Stelle erreichen, wo sich hinter einer quer über
den ganzen Fluss reichenden Felsrippe eine heftige Walze bildet. Zweifellos
die mit Abstand gefährlichste Stelle bisher! Wir sichten und diskutieren
am Ufer stehend, wie weiter vorzugehen sei. Da müssen wir mit größtem
Entsetzen erblicken, dass sich mein Boot gelöst hat, und jetzt fast
flussmittig auf die Walze zutreibt. Dabei hatte ich es doch einige hundert
Meter flussauf gewissenhaft angebunden, wie kann das sein?! Panische Gedanken
über die fatalen Konsequenzen schießen durchs Gehirn. Im Boot
befinden sich unser Zelt, mein Schlafsack, die unentbehrlichen Kochtöpfe,
der Notfallsender. Es bleiben jetzt eigentlich nur hundsmiserable Optionen,
nach einem Verlust würde ein Zurückkommen über die Berge
zu einem Horrortrip. Das Boot könnte in der Walze hängenbleiben,
bis sich die Beladung löst, oder es nach vielleicht Stunden wieder
ausgespuckt wird.
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Packraft
vor dem Eintritt in die fatale Walze
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Wir trennen uns, ich
haste am Ufer hinterher, Jakob wechselt per Boot das Ufer und wird dort
die Walze umtragen und nachkommen. Es handelt sich um den absoluten Tiefpunkt,
beide rechnen wir fest damit, dass der Urlaub jetzt gelaufen ist und wir
den Rest der Zeit nur mehr ums blanke
Überleben kämpfen werden. Der bittere Gedanke, dass wir nach dem Verlust des Senders unsere Lieben zuhause in größter Sorge im Unklaren über unseren Verbleib lassen müssen, lastet besonders schwer. Und was ist mit dem Paddel, das ich ins Boot gestellt oder daran gelehnt habe? Ohne dieses verflixte Ding würden wir in diesem verdammten Fluss hier sowieso keine Chance haben! Ich klettere über einen Felsrücken, verschwitzt und panisch flussab rennend schlagen mir die Äste des Uferbewuchses ins Gesicht, bleibe kurz stehen um nach vorne zu spähen … und kann es kaum glauben, als ich einige hundert Meter weiter das Boot wider Erwarten wenige Meter vom Ufer entfernt dümpeln sehe. Bleibt es stehen bis ich es erreiche? Tatsächlich. Der Schlaufenknoten der Bootsleine,
die aus sinkendem Material besteht, hat sich in einer Spalte am Grund verklemmt
und hält das Boot samt schwerer Beladung. Welch Zufall, welch unfassbares
Glück (im Unglück). Doch was ist mit dem Paddel? Der tapfere
Jakob hat die
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Wie durch
ein Wunder ist das Boot nicht ohne Chauffeur nach Russland weitergefahren
sondern am Grund hängen geblieben
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Wieso sich das Boot
überhaupt gelöst hat, darüber kann ich nur Vermutungen anstellen.
Sicher ist, dass ich es auf die Böschung gezogen und die Leine recht
gut an einem Gebüsch an drei zweifingerdicken Ästen verheftet
habe, dieses Bild hat sich eingeprägt. Wahrscheinlich sind die
Packsäcke im Bootsinneren abgerutscht und haben den Bug gehoben. Wohl hat sich durch den pulsierenden Wellenschlag ein starker Zug ergeben, der den Knoten gelöst oder den Busch entwurzelt hat. Dieser brutale Fluss erlaubt keine Fehler! Wir haben jetzt unsere Selbstsicherheit völlig
eingebüßt, und kriechen die meiste Zeit wie geschlagene Hunde
am Ufer entlang, unterbrechen die Flussfahrt ständig um abzuleinen.
Die immer wieder notwendigen Querungen zu einer flacheren bzw. leichteren
Uferseite schaffen wir nur mit
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Ableinen
zu gefährlicher Stellen
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Umgestürzte
Bäume machen die Sache langsam und schwierig
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Der Lenok
vom Kolkeinrinn
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Lenok-Flossen
im Gegenlicht der letzten Abendsonne
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Dieses
Mauserl hier hat’s gebracht!
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Als die Siebensachen
zum Trocknen aufgehängt, Feuerholz und Nerven gesammelt, und das Zelt
aufgestellt sind, geht‘s wieder zum Fischen, wir sind schließlich
nicht zum Spaß hier. Mein privater Badeplatz von vorhin schaut wirklich
ultimativ aus! Falls die durch die Abkühlung des Flusses bedingte
Beißphase noch anhält könnten wir endlich absahnen. Wie
immer wird als erstes eine Rehhaarmaus über den Kolk treiben gelassen
und mit kurzen Rucken angestrippt. Taimen auf Trocken“fliege“ – was gibt’s
schöneres? Schon hängt der erste Lenok am Haken, der die poleposition
ganz vorne am Kolk eingenommen hat. Der nächste Wurf geht weiter in
den tieferen Teil des Einrinns und schon macht‘s plopp – endlich hat ein
großer Taimen das warmblütige Angebot in Form eines Kleinsäugers
für gut befunden und inhaliert. An der 10er Einhand-Fliegenrute
führt der folgende Drill zur üblichen Mischung aus Aufregung,
Verlustangst und Spaß, gemischt mit steigender Neugier über
die Größe des Räubers, der sich so vehement gegen den Zug der Fliegenschnur stemmt. Es ist ein wirklich schönes, makelloses Exemplar, gut genährt und 1,18 m lang. Und obendrauf an einer Stelle gefangen, an der ich nur zwei Stunden zuvor in Panik geschwommen bin. Ich denke, es kann hier von einem wohlverdienten Fang und von ausgleichender Gerechtigkeit in Reinform gesprochen werden. Auch vor dem Hintergrund, welche Mühsal es noch bedeuten wird, von hier wieder in die Zivilisation zurück zu gelangen. Davon mehr im zweiten Teil!
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Pure Freude
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Teil 2 dieses spannenden Reiseabenteuers: "Über die Berge ins Äschenparadies" findest du hier: |
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![]() Ein Reisebericht in zwei Teilen von Clemens Ratschan für www.fliegenfischer-forum.de - Dezember 2023/Februar 2024. Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten. zurück zur Übersicht Russland, Mongolei... | zurück zu Reise & Report | zurück zur Startseite |