Zwei nachdenklich stimmende Presseberichte zum Thema "Sauerstoffmangel in der Ostsee":

Lübecker Nachrichten-online/lokales vom 20.09.2002 08:03

Umweltminister Klaus Müller im Interview
LN-Kommentar: Totes Meer

Die Lübecker Bucht hat so gut wie keine Fische mehr. Das ergab eine dreiwöchige Messkampagne des Laborschiffes "Haithabu". Die gestern veröffentlichten Ergebnisse nannte Schleswig-Holsteins Umweltminister Klaus Müller (Grüne) "besorgniserregend". Die Todeszone allein in der Lübecker Bucht ist 500 Quadratkilometer groß, umfasst die Hälfte der Bucht.

An 60 Stellen in der westlichen Ostsee wurden drei Wochen lang Wasserproben gezogen. In der Lübecker und Neustädter Bucht gab es in den bodennahen Wasserschichten einen Sauerstoffgehalt von nur noch 0,2 bis 1,7 Milligramm pro Liter. Nahezu identisch sind die Werte in der westlichen Mecklenburger Bucht, am Fehmarnbelt, in der Eckernförder Bucht, in der westlichen Kieler Bucht und in der Flensburger Förde. Den katastrophalsten Wert ermittelten die Wissenschaftler des Landesamtes für Natur und Umwelt in der Kieler Außenförde. Dort liegt der höchste Sauerstoffwert in den tiefen Wasserschichten bei 0,3 Milligramm. Das Wasser ist tot.

Umweltminister Müller forderte gestern verstärkte Umweltschutzmaßnahmen und übte im LN-Interview offene Kritik am Nachbarland Dänemark, das wegen seiner massiven Stickstoff- und Phosphateinleitungen der Hauptverursacher der Umweltkatastrophe sei, die jetzt auch die deutsche Ostseeküste nicht verschone. Müller: "Im Vergleich zum vergangenen Jahr sind die Wasserwerte deutlich schlechter. Und mit einem Viertel unserer Küstengewässer ist ein weitaus größeres Gebiet vom Sauerstoffmangel betroffen." In der Kieler Außenförde sei bereits Mitte August giftiger Schwefelwasserstoff festgestellt worden "und jetzt auch an einigen Messstellen in der Lübecker und Mecklenburger Bucht sowie der Flensburger Förde".

Die Folgen sind unübersehbar. Der Umweltminister: "Unterwasseraufnahmen vom Boden der Lübecker Bucht zeigen, dass die dort lebenden Fische verschwunden und vermutlich in flache Bereiche geflohen sind." Ein anderes Schicksal ereilte die langsamen und festsitzenden Tiere: Während in 16 Meter Tiefe noch einiges Leben zu finden war, begann bereits in 18 Meter Wassertiefe eine tödliche Zone.

Der Meeresbiologe Dr. Joachim Voss (49), Leiter der Abteilung Gewässer des Landesamtes für Natur und Umwelt glaubt zwar, dass sich die Ostsee bis zum Frühjahr erholt, hält aber nachhaltige Schutzmaßnahmen für unabdingbar. Voss verwies darauf, das jedes Jahr 400 000 Tonnen Stickstoff von den Ländern an der Ostsee ins Meer geleitet würden: "Diese Menge soll bis 2005 halbiert werden."
ln-online/lokales vom 20.09.2002 08:03

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HAMBURGER ABENDBLATT
Montag, 7. Oktober 2002
Norddeutschland
 
Neue Messdaten: Der Ostsee geht die Luft aus

Kiel - Der Ostsee ist die Puste ausgegangen. In 25 Prozent der schleswig-holsteinischen Küstengewässer herrscht akuter Sauerstoffmangel, und von 18 Meter Wassertiefe an ist das Meer tot: Muscheln, Seesterne und Würmer sind erstickt, die Fische geflüchtet. Auf dem stinkenden Meeresgrund produzieren Bakterien giftigen Schwefelwasserstoff. Ohne Wetterwechsel droht eine Katastrophe wie vor Dänemark. Dort löste der Luftmangel ein großes Fischsterben aus. "Die Lage in den tiefen Bereichen ist besorgniserregend", sagt Schleswig-Holsteins Umweltminister Klaus Müller (Grüne) mit Blick auf jüngste Messdaten vom Laborschiff "Haithabu". Dessen Besatzung hat seit Monatsanfang an mehr als 60 Stellen entlang der Küste Proben gezogen und Unterwasservideos gedreht. "Es ist so schlimm wie seit 15 Jahren nicht mehr", berichtet Joachim Voss vom Landesamt für Natur und Umwelt. Ob Flensburger oder Kieler Förde, Fehmarnbelt, Lübecker oder Mecklenburger Bucht - überall lag der Sauerstoffgehalt im tieferen Wasser unter der kritischen Grenze von zwei Milligramm pro Liter. Manchmal waren es tödliche 0,0 Milligramm. Was das bedeutet, zeigen die Videos. Bei 16 Meter Wassertiefe tummeln sich kaum noch Fische, zwei Meter tiefer beginnt die tödliche Zone, in der nur noch Extremtiere wie der Priaps-Wurm überleben. Er kommt auch mal ohne Luft aus. "Die meisten Fische sind vermutlich in flachere Bereiche der Förden und Buchten geflüchtet", meint Voss. Dort gebe es noch reichlich Sauerstoff. Der Haken: Wenn der Wind auf Südwest dreht und auffrischt, drückt er das gute Wasser aus den Buchten, und von unten strömt totes Wasser nach. Die Fische sitzen dann in der Falle und sterben. Voss hofft, dass sich die Lage in zwei bis vier Wochen deutlich verbessert, wenn Herbststürme die Ostsee aufwühlen und sauerstoffreiches Wasser in die Tiefe drücken. Das Brackwassermeer leidet immer mal wieder an Atemnot, vor allem nach Sonnensommern mit östlichen Winden. Hauptverursacher ist aber der Mensch. Nährstoffe aus Landwirtschaft und Autoverkehr befördern die Blüte der Algen, die später auf dem Meeresgrund verwesen und den Meerestieren die Luft nehmen. ubi
erschienen am 20. Sep 2002 in Norddeutschland