Alltagsfreiheit – Quality time
Ein FF-Life Report von Niko Bünte
Autor irgendwo in Neuseeland
Im Endeffekt wollen wir doch alle das Eine. Entspannt im oder am Wasser stehen und dann und wann eine geschuppte Kreatur am anderen Ende der Schnur zappeln haben.
Variiert wird dieses Grundbedürfnis durch verschiedene Modifikationen des Ortes, Wetters, Equipments und der Art, Größe und Gewichts des Gegenübers. Ganz gleich wie hochpreisig, angesehen und ausgeklügelt das Gerät, wie warm oder kalt, in welchem Breitengrad und Höhenmeter, im Endeffekt sehnen wir uns alle nach dem Adrenalinkick, der die meditative Monotonie des Fischens unterbricht. Wir wollen aus den Gedanken gerissen werden, nachdem wir alles um uns herum vergessen haben.
Fliegenfischen am anderen Ende der Welt
Auch wenn meine Reiselust zuweilen enorme Ausmaße annimmt und mich durch das Unterholz am anderen Ende der Welt kämpfen lässt, gibt mir die heimische Angelei, die ich jederzeit auch nach vollbrachtem Tageswerk erreichen kann, den realistischsten Ausgleich zum Alltag. Ich bin kein Fan davon, die meiste Zeit des Jahres dem langersehnten Jahresurlaub entgegen zu fiebern, der dann nach ein paar Wochen wieder vorbei ist und von dem zwar jede Menge schöne Fotos und Erinnerungen bleiben, allerdings auch die Sehnsucht nach der Ferne. Nach etwas anderem. Größer, schöner, wärmer. Dabei ist es hier zu Lande doch gar nicht so übel. Öffne ich meine Augen, ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, bei wunderbaren Sonnenuntergängen und vor tollen Kulissen meine Seele baumeln zu lassen, ohne monatelang warten zu müssen. Gleich heute Abend, oder morgen früh. Was ist mit Freitag früher Schluss machen und los?
Freitagssession
Aus diesem Grund erzählt dieser Bericht von der großen Palette der im Alltag erreichbaren Möglichkeiten. Das Ziel ist es, ohne viel monetären und zeitlichen Aufwand die tägliche Lebensqualität zu erhöhen und den Sinn für das Hier und Jetzt, sowie dem Erfreuen über die „normalen“ Kleinigkeiten zu schärfen.
Schnappen Sie sich eine Rute, mit der das Werfen Spaß macht. Dazu eine Schwimmschnur, die Sie wunderbar beim Wurf verfolgen können und sich butterweich vor ihnen niederlegt und genießen Sie den wohlverdienten Feierabend nicht bei einem Youtube-Video von spektakulären Drills in der Ferne, sondern am Wasser. Mit dem Geruch des sich auf die Nacht vorbereitenden Gewässers, leisen Geräuschen der terrestrisch und aquatischen Flora und Fauna, sowie bei so manchem nervenden Mückenstich, der Ihnen zeigt, dass Sie hier und jetzt am Leben sind. Frei.

Mit einem guten Freund pflege ich im spätsommerlichen Sommerloch, wenn Esox lucius, Salmo trutta spp., sowie Sander luciuperca faul am Grund liegen und sich kein bisschen für die dargebotenen Meisterwerke interessieren, eine kleine Feierabend-Tour von einem Weiher, über einen Fluss zu einem Hafen und schließlich dem offenem Bodden zu unternehmen. Ich bin mir sicher, dass in nächster Nähe Ihres Wohnsitzes mindestens ein Gewässer dieser Art vorzufinden ist, sodass Sie in der Lage sind, sofern Frau und Kinder es zulassen, ähnliches zu Erleben.

Neben der entspannt zu werfenden Fliegenrute, bestückt mit der Lieblingsschnur, benötigen Sie ein paar kleine Fischchenstreamer, eine handvoll Goldkopfnymphen, sowie Trockenfliegen. Für die Minimal-Freaks: fünf Fischchenstreamer der Hakengröße 8, fünf Tungsten Goldkopf-Red-Tag-Nymphen in Hakengröße 14, fünf Goldkopf-Pheasant-Tail Nymphen Hakengröße 14 und fünf CDC Trockenfliegen Hakengröße 16. Wie man sieht, erwarten wir heute keine Flussmonster, sind aber mit diesen 20 Fliegen nicht vor schönen Überraschungen gefeit. An meinen Hausgewässern fängt man damit bis zu 14 Fischarten. An die Fliegenschnur kommt ein 3 m langes, verjüngtes oder selbstgeknotetes Vorfach mit einer 0,20 mm Spitze. Vorfachmaterial zwischen 0,12 - 0,20 mm stecken wir uns in die Tasche. Abgerundet wird das Equipment durch eine Arterienklemme, einen Hakenschleifer und Schwimmpräparat für die CDCs. Alles in allem passt diese Ausrüstung in zwei Hosentaschen und so findet in einem kleinen Rucksack neben einer Wasserflasche und einem üppig belegtem Pausenbrot ein Pullover, sowie Mückenschutzmittel Platz.

Die Tour startet an einem Weiher, über dem die Insekten im Licht der sich senkenden Sonne schwirren. Hier und da sieht man Ringe von steigenden Fischen, im Freiwasser wohl von patrouillierenden Ukeleis, vorm Schilf von stattlichen Rotaugen und Alanden verursacht.
 

Auf Friedfische im Flachwasser
Je nach Gusto kann man sich entweder den räuberischen oder den friedfertigen Fischen widmen. Abnehmer für neckisch präsentierte Fischchenstreamer sind Barsche, Rapfen, Alande und räuberische große Rotfedern oder Rotaugen. Wer es etwas sanfter mag, kann die beschwerte Red Tag Goldkopfnymphe langsam in Grundnähe zupfen und mit großen Rotaugen, Brassen, Güstern, Alanden aber auch Kaulbarschen rechnen. Für die Puristen bieten sich die Trockenfliegen an, die von Alanden mal vehement, mal zögerlich und manchmal auch gar nicht genommen werden. Rotfedern sind da nicht mehr so wählerisch und steigen bei erfolgreicher Präsentation mit hoher Wahrscheinlichkeit ein. Wen es reizt und wer seine Reflexe schärfen will, kann sich an den schnellen Mäulern der Ukeleis versuchen. Bei der Hakengröße 14 bleiben wenige hängen, ab Hakengröße 18 aufwärts ändert sich das.
Barsche!
Es ist die Kunst sich fallen zu lassen, die Natur zu erleben, den Sonnenuntergang aufzusaugen. Auch wenn ich in den ein, zwei Stunden, die ich am Wasser bin „nur“ drei Rotaugen fange, sehe ich nicht, dass ich diese drei Rotaugen mit der Stippe innerhalb von Minuten gefangen hätte, sondern dass ich ein paar schöne Würfe machen konnte, ein wenig träumen, abschalten und frische Luft schnuppern. 

Und vielleicht kommt ja der Tag, an dem der Widerstand am anderen Ende größer als gewöhnlich ist, die Schnur weggezogen wird und die Rolle anfängt zu kreischen. Dann handelt es sich entweder um einen Karpfen aus dem längst beendeten Besatzprogramm oder einen Kajakfahrer, der einem über die Schnur gefahren ist und nun wutentbrannt Flüche über die Angler los wird und Ihnen vor Augen führt, wie entspannt Sie mittlerweile sind.
 

Kleiner Flussbarsch auf Bachflohkrebsimitation
Wunderschöne Rotfeder auf Trockenfliege
Die Tour geht weiter zu einem langsam fließenden Fluss, der zu bestimmten Zeiten ein Winterlager für diverse Fischarten ist. Jetzt im Sommer ist die Fischdichte nicht ganz so hoch wie im Winter, dafür ist der Angeldruck deutlich geringer und die Sonnenuntergänge umso schöner. 
Mein Kumpel zieht an einer vierer Rute mit Sinkschnur einen Fischchenstreamer durchs Wasser und präsentiert kurz darauf einen wütenden Stachelritter. Ich versuche mein Glück mit einer tief geführten Nymphe, außer einem kleinen Rotauge bleibt jedoch nichts hängen. 

Räuberischer Flussbarsch, vorm Schilf verhaftet 

Wir ziehen weiter Richtung Hafen. Eigentlich kein schönes natürliches Panorama. Spundwände, Schiffsverkehr, fragende Blicke neugieriger noch nicht Infizierter. Jedoch hat auch der Hafen seinen Reiz. Hier möchte man gewiss nicht den ganzen Tag verbringen. Allerdings sind drei, vier Würfe immer angebracht und bringen so manche Überraschung ans Tageslicht.

Invasive Schwarzmundgrundel
Der nächste Spot ist der offene Bodden. Es ist herrliches Spätsommernachmittagswetter, mit einem Geruch in der Luft, den nur diese Jahreszeit zu entwickeln pflegt. Während sich die Sonne langsam Richtung Horizont neigt, mache ich einige raubende Barsche im flachen Wasser vor dem Schilf aus. Schnell ist die so getaufte „Machine-Fly“ montiert, die ihrem Namen allzu oft alle Ehre machte indem sie fing wie eine Maschine. Noch schnell die Schuhe ausgezogen und vorsichtig in Richtung der Übeltäter gewatet.
„Machine-Fly“
German wetwading
Nach sanfter Präsentation und der Imitation eines Fluchtversuches des Fischchens stürmt eine Bugwelle in Richtung Fliege. Kurze Zeit später zappelt ein wunderschöner kleiner Barsch vor meinen Füßen im warmen Wasser.
Es geht weiter es zu einem Hotspot, an dem der vorhin beschriebene Fluss in den Bodden mündet. Dort verhaften wir den ein oder anderen Stachelritter, sodass die Speisekarte für den Abend umgestaltet wird zu: Bratbarsch, Kartoffeln und Salat.
Barsche auf „Twister-Fly“
Schöner Barsch!
Plötzlich reißt es mir förmlich die Schnur aus der Hand und mein Blut reichert sich augenblicklich mit Adrenalin an. Wer hat sich dieses Mal den Streamer einverleibt? Ein kleiner Hecht? Ein guter Barsch? Nach ein paar wilden Fluchten kann ich einen Rapfen landen. Ungewöhnlich, aber die Freude ist groß!
Rapfen auf „Twister-Fly“
Mein Kumpel fängt noch eine bezaubernde Rotfeder, bevor wir uns vollends dem Sonnenuntergang widmen und über das Leben, das doch allzu oft viel komplizierter erscheint als es in Wirklichkeit ist, philosophieren.
Moe mit räuberischer Rotfeder


Abends im Bett denke ich darüber nach, wie vielseitig unser Hobby doch ist. Und wie viele tolle Erlebnisse ich ohne das Fliegenfischen nicht gehabt hätte. Es bereichert mein Leben mit Geschichten von unfreiwilligen Bädern, ...
 
Verdammt glitschig die Steine

 

... von der Wette, dass man seine Hängematte auch über Wasser aufhängen und entspannt dabei bleiben kann...

Es gehört die Welt dem, der sie genießt
... und dem sommerlichen Regenschauer, der selbst dem coolsten Menschen auf Erden...
Alltagsfreiheit
... ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
„Fish on!“
Die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Man kann fast jede Freitzeitaktivität mit der Fliegenrute verbinden, sofern man sich mit kleinen Dingen zufrieden gibt und den Moment genießt.
 
 
 
 
Mit Longboard und Fliegenrute ans Wasser 

 
 
 

Mir ist bewusst, dass ich Ihnen hier keine Beschreibung einer wahnsinnig ausgeklügelten und extrem spannenden Angelei liefere. Das erwartet man aber auch nicht, wenn man seine Rute zusammenbaut, um einfach mal kurz am Wasser gewesen zu sein. Ich liefere Ihnen lediglich den Grund, die Fliegenrute einmal mehr auszuführen und tolle Momente zu erleben während andere davon träumen.

Erfolgreicher Alltagsfreigeistler
Text: Niko. Inspiration: Friends. Nature. Flyfishing.




Ein FF-Report von Niko Bünte für www.fliegenfischer-forum.de - Dezember 2017. Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Beitrag ist verboten.

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