Alle Jahre wieder sprießt der Bambus … zu ungeahnten handwerklichen Höhen
Ein Veranstaltungsreport von Jaroslav Vecko zum 7.Europäischen Rutenbauertreffen in Sansepolcro / Italien vom 22.-24.05.2015
Zugegeben, die freudige Aufregung für die bevorstehende Reise nach Sansepolcro zu unseren italienischen Freunden von der IBRA – Italian Bamboo Rodmakers Association – hat schon 2 bis 3 Wochen vorher eingesetzt. Zumal sich uns Bjarne Fries aus Dänemark und allseits bekannter Andy Royer  – The Bamboobroker – mit Begleitung aus den USA anschließen wird. 700 Kilometer sind kein Pappenstiel … das Timing hat jedoch hervorragend geklappt und wir sind souverän an Milano vorbei ohne jegliche Probleme auf der A 1 gerauscht und mit genug Zeitreserve in Agriturismo Podere Violino bei Sansepolcro (AR) in der Toscana angekommen.

Welch freudiges Wiedersehen … der Dämpfer aber kam postwendend. Ganz durstig und nach etwas Trinkbarem lechzend – ich meine nicht das Wasser –, steuern wir die Bar an. Das gute Moretti-Bier gibt es nicht mehr, dafür ein biologisches Produkt, bei dessen Preis uns der ganze Durst sofort vergeht. Das Management des Agriturismo hat gewechselt … also trinken wir von jetzt an Weißwein.

Der Presidente, der Vicepresidente und weitere Freunde heißen uns freudig willkommen, wir beziehen die Zimmer und freuen uns auf das Fischen am oberen Lauf des Tiber … aber frei nach Wilhelm Busch: Erstens kommt’s es anders und zweitens als man denkt … am Morgen regnet es in Strömen. Nicht desto trotz stehen wir um 9 Uhr im «Kampfanzug» bereit, der Guide ist auch schon da und die einzelnen Gruppen werden auf die Strecke verteilt. Es regnet immer noch, einmal etwas weniger, dann wieder mehr, die Stimmung ist entsprechend. Unser Guide empfiehlt uns einige Fliegen Größe 18-20 und sehr lange Vorfächer mit einer Spitze 08-10. Also stürzen wir uns etwas missmutig in den triefenden Dschungel und kämpfen uns zuerst mal überhaupt zum Fluss. Das Wasser ist gut, wir sehen jedoch keine Aktivität und verteilen uns etwas. Nach einigen erfolglosen Versuchen beschließe ich jedoch, dass das keinen Sinn macht und signalisiere meinen Kollegen, dass ich quittiere und zum Auto zurückgehe. Es regnet immer noch … Was soll ich noch weiter erzählen, es regnete ganze drei Tage fast ununterbrochen. Zur Erheiterung hat einzig mein Auto beigetragen, denn am anderen Tag gehe ich etwas zu holen und sehe, dass sich das hintere Seitenfenster irgendwie verabschiedet hat … es sind keine Scherben im und um das Auto zu sehen. Da laust mich der Affe, was ist da los? Die Fensterscheibe kommt einfach nicht mehr hoch … Zwei dänische Freunde, Svend Danbaek und Peter Just, versuchen erfolglos via Internet herauszufinden, wie man allenfalls die Seitenverkleidung demontiert und ich bekniete den Majordomus, um eine Plastikfolie und Klebeband zu organisieren. Schlussendlich spendierte mir Wolfhard Schulz eine kleine Rolle Silvertape und aus der Küche bekam ich einen schön großen, dicken, schwarzen Abfallsack … also die Panne ist für das erste Mal behoben.

Nun zum eigentlichen Gathering. Entsprechend dem vorangekündigten Programm, wurde die große Halle des Agriturismo Podere Violino in einen Ausstellungssaal und eine große Werkstatt verwandelt. Die Teilnehmer, Besucher und Interessierte konnten sich im vorderen Teil von den handwerklichen Fähigkeiten der Rutenbauer überzeugen – gespließte Ruten in verschiedenen Ausführungen und Längen, Watstöcke, hölzerne Fliegenrollen und ledrige Rutenrohre, Achatringe, Literatur und antike Rollen von Hardy Bros. wetteiferten um die geneigte Aufmerksamkeit der zahlreichen Teilnehmer so, dass an manchen Tischen an ein Durchkommen nicht zu denken war.
Im anderen Teil der Halle waren einige Werkbänke aufgebaut, auf welchen die verschiedenen Techniken vorgeführt wurden. Die Beschreibung der einzelnen Abläufe würde den Rahmen dieses Berichts ins unermessliche ansteigen lassen, so nur eine kurze Aufzählung der Themen … ohne den Anspruch auf Vollständigkeit: Hexrod; RodDNA; Hohlbauen nach E. C. Powell; Schärfen und Polieren mit japanischen Steinen; Knotenbehandlung mit der Knotenpresse von Ortensio Ambrosini; Hohlbauen mit der «Hollowing Star» Methode; Wie schreibt man auf Bambus; Wie bereitet man die Hobelform für eine «Quad»; 
Herstellung der «Streamlined»-Hülse; Vorführung eines 12er Splitters und der Werkzeuge zur Herstellung einer Hobelform; Wärmebehandlung von Bambus nach G. Gori – 2 Methoden; Herstellung eines Lederrutenrohrs; Vorführung der «Former Beam» Methode; Herstellung einer knotenlosen Rute; Lackieren mit der Bechermethode; «Gothische» Krone an der NS-Hülse; Herstellung der FIBH-Bambushülse nach Bjarne Fries; Warum reist ein Rutenbauer aus Berlin nach Vietnam und China zum Sammeln von Pseudosasa amabilis – Gedanken über die Eigenschaften des Bambus; Transformation der verschiedenen Rutengeometrien mit Beibehaltung des «moment of inertia» (Trägheitsmoment) ; Dimensionierung der Bambushülsen und Design mit CAD Software; Die Studenten des Jahres 2014 zeigen die verschiedenen Schritte und Methoden aus den IBRA-Kursen; Vorbereitung und das Anwinden der Schlangenringe; Spalten des Bambusrohres – wie erhalte ich 24 Spleiße; Schärfen der Hobelmesser mit 3M «lapping film»; Punzieren von Leder; Eine alternative Methode zum Schärfen der Hobelmesser; Herstellung von «Swelled But» bei «Mortised Rod» (gekeilter Rutengriff) ; Eine Methode zur Feststellung/Schätzung der Leinenklasse einer Rute, etc. etc.






Ständig kommt man ins Gespräch mit anderen Kollegen, bewundert den einen Rollenhalter oder den Zweihänder, am Nebentisch funkeln die Präziosen – Achatringe – von Luciano Oltolini, ein Anderer interessiert sich für eine spezielle Knotenpresse, unser finnischer Freund Tapani Salmi erklärt ununterbrochen seine 3-eckigen Ruten, im Hinterraum bringt Peer Doering-Arjes seine Beobachtungen, Erfahrungen und Gedanken von seiner Bambus-Expedition an den Mann, vor der Halle wird heftig geschlotet und einige Unentwegte werfen bei endlich etwas nachlassendem Regen auf der Wiese … sogar die italienische Legende Roberto Pragliola lässt sich blicken und gibt in seiner unnachahmlichen Art eine Stunde Unterricht in der TLT-Technik … es ist für jeden etwas da, sowohl für den Anfänger wie auch für den Fortgeschrittenen oder Profi.



Das Meeting neigt sich bereits dem Ende zu und schon zur Tradition geworden, findet noch die Tombolaverlosung statt. Anschließend reisen bereits einige Teilnehmer ab und die anderen sitzen noch ein Weilchen beim Lunch zusammen. Noch etwas für die Statistik: in der Spitzenzeit am Samstag waren etwa 80 Personen anwesend, davon etwa 5 Franzosen, je 3 aus Dänemark, der Schweiz, Deutschland und 2 Amerikaner. 

Wir haben keine Eile, denn wir wollen den Pfingsten-Rückreiseverkehr umgehen und fahren noch für einen Tag zum Fischen an einen Fluss, der uns von Moreno empfohlen wurde … und welches Wunder, es scheint die Sonne. Um es kurz zu machen … die Fischerei war grandios in herrlichster Umgebung, No-Kill Strecke mit 1-2 kg Fischen, glasklares Wasser, Hotel einfach, hervorragendes Essen und gute Weine, sehr freundliche und hilfsbereite Menschen und fast keine Fischer am Fluss …




Um die Story von meinem Auto etwas weiter zu spinnen, noch ein paar Sätze: Das Auto steht während dem Fischen den ganzen Tag in der prallen Sonne. Wenn ich es am Abend, es ist bereits etwas dunkel, hole, sind die Fensterscheiben beschlagen. Es heißt also lüften … alle Fenster öffnen und die Klimaanlage auf volle Leistung … ihr ahnt bereits, was jetzt kommt. Das Fenster auf der anderen Seite kommt nicht mehr hoch. Der Patron des Hotels weiß jedoch Rat und eilt mit einem weiteren Plastiksack und anderem Silvertape herbei … und wir fahren am anderen Tag quasi mit einem Cabrio Richtung Norden …

PS: Das nächste Treffen findet in 2016 wieder in der Schweiz statt … Informationen folgen zur gegebenen Zeit

03.06.2015/gespliesste.ch/jv
Fotos © J. Vecko, H. Kiser





Ein Beitrag von J. Vecko für www.fliegenfischer-forum.de - September 2015. Fotos © J. Vecko, H. Kiser.
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