Fliegenfischen in und um Coyhaique, Hauptstadt der XI. Region Chiles
Ein Reisebericht von Helmut Wittelsburger
Coyhaique, in der Sprache der Ureinwohner Patagoniens, ein Ort, an dem man sich niederlässt. Die ehemalige Siedlung der Mapuche Indianer ist heute eine Kleinstadt mit rund 50 Tausend Einwohnern. Sie liegt auf dem 45-zigsten Breitengrad Süd. Dort im Herzen des chilenischen Patagonien gibt es "breath-taking nature" mit schneebedeckten Bergen der Andenkordillere, breiten saftig grünen Tälern sowie unzähligen Flüssen, Bächen und Seen in Trinkwasserqualität. Mit nur 0,7 Einwohnern pro Quadratkilometer ist die XI. Region das dünnbesiedelste Gebiet Chiles.
Unwirtliche Witterung

Wer allerdings ein ähnliches Klima wie das von Venedig erwartet, das auf dem gleichen Breitengrad auf der Nordhalbkugel liegt, hat falsche Kleidung im Reisegepäck. Von Oktober bis Mitte Dezember sind die Winde heftig. Die Temperaturen liegen tagsüber um die 15 Grad Celsius. Der kurze Sommer bis Ende Februar ist nicht viel wärmer. Allerdings sind  an mehreren Tagen Temperaturen bis 30 Grad Celsius möglich. Herbstlich wirds schon meistens im März. Und wenn es dann im April keinen "goldenen Oktober" gibt, dann sind bereits erste Nachtfröste wahrscheinlich. Schnee fällt jedoch in der Regel erst ab Mitte / Ende Mai. Wetterfeste und warme Kleidung ist daher für einen Besuch in dieser klimatisch unwirtlichen Gegend besonders wichtig.

Patagonien: ein Gebiet in Argentinien und Chile

Patagonien, eine Region bei dessen Erwähnung unsere Fischerherzen schneller schlagen. Das Gebiet umfasst den Teil südlich vom Rio Negro in Argentinien und dem Bio Bio Fluss in Chile. Es weist unzählige Gewässer auf, in denen um die Wende zum 20-sten Jahrhundert von engagierten Privatpersonen, teils mit staatlicher Unterstützung, befruchtete Eier von Bach- und Regenbogenforellen aus Europa und den USA eingebracht wurden. Diese Salmoniden haben sich prächtig entwickelt und verbreitet. Fast in jedem Gewässer trifft man sie heute als stationäre oder zum Teil auch als wandernde Form an; in einigen Seen und Flüssen für uns Europär in unvorstellbarer Grösse. Äschen sind in Patagonien nie angesiedelt worden. 

In den sechziger und siebziger Jahren des 20 sten Jahrhunderts engagierten sich erst japanische und etwas später norwegische Lachszuchtunternehmen mit off-shore Käfigen vor der chilenischen Küste Patagoniens. Chile ist heute nach Norwegen das wichtigste Exportland von frischen und gefrorenen Salmonidenfilets. Neben der Regenbogenforelle und dem Chinook Lachs, besser als King Salmon bekannt, werden Coho Lachse und mit Erfolg im pazifischen Meerwasser auch der atlantische Salmo Salar gezüchtet. In und um Coyhaique ist die Lachsindustrie wichtigster Arbeitgeber und Wirtschaftszweig neben der ebenfalls  bedeutenden Holzverarbeitung.

Pros und Cons der Lachszucht

Als engagierte Fliegenfischer wissen wir von den zahlreichen Umweltproblemen, die die Aufzucht von Salmoniden in Käfigen off-shore aber auch in den chilenischen Seen der X. Region weiter nördlich in der Gegend von Valdivia, Puerto Montt und Osorno verursacht. Auch sind wir informiert über genetische Veraenderungen durch Paarung stationärer Salmoniden mit aus Zuchtanstalten entwichenen Fischen. Und das sind eine Menge! Die staatliche chilenische Aufsichtsbehörde für das Fischereiwesen schätzt, dass jährlich bis zu sieben Millionen Zuchtfische aus den Käfigen entweichen. Oft halten die Maschen einbrechenden Unwettern nicht stand, Seelöwen zerstören die Drahtkäfige, von Wettbewerbern engagierte Taucher schneiden mit Drahtscheren grössere Öffnungen in die Aufzuchtbehälter der Konkurrenz oder von Krankheitserregern befallene Zuchtfische werden von den Betreibern illegal ins Meer oder in einen See entlassen.

Die Fische, die wir erwarten

Für unsere Leidenschaft bieten entkommende Fische jedoch einen zusätzlichen Reiz. Im November steigen die "Kings" in Flüsse auf, die in den Pazifik münden. Im Rio Aysen, der oberhalb des Zusammenflusses mit dem Rio Mañihuales, Rio Simpson heisst, werden Chinooks bis zu 20 Kilogramm gefangen. Nur wenige fischen auf diese Lachse mit der Fliege. Die Spinnangel mit grossen Blinkern und Wobblern ist offensichtlich erfolgreicher. Ab Mitte Januar sind die Fische nicht mehr silbern. Ihre Körper sind vom beschwerlichen Aufstieg erschöpft und geschwächt. Sie nehmen eine hässlich braune Farbe an.

Ende März und April kommen Cohos in die Flüsse. Diese Lachsart bietet eine herrliche Fischerei mit der Fliege. Allerdings ist das Durchschnittsgewicht wesentlich geringer als das der Kings. Doch "Silvers" zwischen drei und fünf Kilos verlangen vom Fischer und seinem Geraet Konzentration und starke Nerven. 
Den aus Käfigen entwichenen atlantischen Lachs findet man im ca. 400 Kilometer weiter nördlich von Coyhaique liegenden Rio Puelo. Meines Wissens wurde noch kein Salmo Salar in den Gewässern um Coyhaique gefangen. Da aber die Zuchtbetriebe mehr und mehr dazu übergehen, den atlantischen Lachs statt pazifischer Arten aufzuziehen, wird es künftig wahrscheinlicher, auch  "Salmo Salar" in  den Flüssen um Coyhaique anzutreffen.
Wandernde "brown trouts" sind in der Umgebung von Coyhaique nicht vorhanden. Zum Fang dieser zu beachtlicher Grösse heranwachsenden atlantischen Meerforellen müssen wir nach Feuerland reisen, um den berühmten Rio Grande in Argentinien oder seinen Oberlauf in Chile zu befischen. Auch der nördlicher in Argentinien gelegene Rio Gallegos verzeichnet einen beachtlichen Aufstieg mit "sea run brown trouts". Dafür wachsen Exemplare der stationaeren Bachforelle in den Flüssen und Seen um Coyhaique zu erstaunlichen Grössen heran. Gleiches gilt für harmonisch abgewachsene stationäre Regenbogenforellen.
Die wandernde Form der Regenbogenforelle, die "steelhead", finden wir ebenfalls in den Flüssen der chilenischen XI. Region. Dafür ist der Saibling, die "brook trout", der einen herrlichen Sport in den argentinischen Seen um San Martin de los Andes, Bariloche und Esquel bietet, nur äusserst selten in den Gewässern um Coyhaique herum anzutreffen.

Nicht jedermanns Sache: die lange Anreise

Einen ganzen Tag, das heisst 24 Stunden ist man sicher unterwegs. Die Zeit von daheim bis zum Flughafen Frankfurt, das Einchecken in den Transatlantikflug, am besten mit der chilenischen Fluggesellschaft LAN und ihren modernen Airbussen, der Zwischenstop in Madrid, die Landung in Chiles Hauptstadt Santiago, die aufwendige und nervige Wartezeit am Migrationsschalter, der Wechsel aus der internationalen in die nationale Abflughalle, der Anschlussflug nach Balmaceda - dem Flughafen von Coyhaique - und immer wieder die quälende Frage, ob das Gepäck mit den Waders und der wetterfesten Kleidung tatsächlich am Zielflughafen ankommt. Reiseruten, Rollen und Fliegen waren ja hoffentlich als Handgepäck dabei.

Balmaceda, die Hauptstadt des Windes. Hier bläst es mächtig; und das fast immer. Der Anflug mit Landung ist nichts für schwache Nerven.

Aber dann geht alles recht schnell. Gepäck ist da und auch der georderte Abholservice. In knapp einer Stunde nach Ankunft kann geduscht und im reservierten Quartier ausgeruht werden. In der Heimat ist es ja schon vier bis fünf Sunden später.
Ob ein kurzer Anruf bei den Lieben daheim möglich ist, hängt ganz davon ab, wo man untergekommen ist. In der Stadt Coyhaique gibt es Handyempfang. Internet ist da schon seltener und wenn ja in einer Geschwindigkeit, die man von zuhaus gar nicht gewohnt ist. Hat man keine Luxus-Lodge, sondern eine preiswertere Unterkunft ausserhalb der Stadt gebucht, ist Funkstille. Kein Handy hat Empfang. Erst dann bemerkt man, dass hier fast das Ende der Welt ist.

Eine gute Infrastruktur mit Ausnahmen

Spezielle Angebote für uns Fliegenfischer gibt es reichlich. Überall werden Touren zu den Fischgründen offeriert. Ein Guide ist sehr empfehlenswert. Er kennt sich aus und bringt den Fischer je nach Verabredung mit einem 4X4 an die Erfolg versprechenden Ufer. Auch Float Trips über Flüsse und Seen koennen jederzeit vereinbart werden. Billig ist die Sache allerdings nicht. Ein Führer nimmt pro Tag für je zwei Fischer mit angebotenem Picknick zwischen 120 und 200 Euro.

Die Fischereisaison in der XI. Region Chiles beginnt Anfang Oktober und endet Anfang Mai. Bis Mitte November und dann wieder ab April ist "catch and release" vorgeschrieben. Aus Seen darf zwischenzeitlich eine Salmonide pro Fischer und Tag entnommen werden; aus Flüssen ist die Begrenzung auf drei festgelegt. Naturköder sind grundsätzlich für den Fang von Salmoniden verboten.

Die Fischereierlaubnis ist für uns Europaer, die an hohe Preise von Tageskarten gewöhnt sind, eher billig. Sie ist ein Jahr gültig und erlaubt die Fischerei in allen chilenischen Gewässern. Unter www.sernapesca.cl kann sie per internet gelöst werden. Chilenen zahlen dafür rund 20 Euro; Ausländer ohne Wohnsitz in Chile das Doppelte.

Es gibt zahlreiche, sehr komfortable, geschmackvoll eingerichtete "fishing lodges", die fast ausschliesslich von nordamerikanischen Gästen frequentiert werden. Hier spricht man leidlich englisch, was die Kommunikation auch für Europäer erleichtert. Die Preise in diesen Unterkünften orientieren sich an internationalen Standards und liegen zwischen vierhundert und sechshundert US Dollar pro Tag und Person. Dafür wird der Gast rund um die Uhr betreut, verpflegt, beraten und zu den Fischgründen geführt. Durch Satellitenempfang sind hier auch teure Telefongespräche und i-net Zugang möglich.

Wer preiswerter reisen möchte, sollte sich in spanisch verständigen können. Fremdsprachen sind in Chile so gut wie unbekannt. Auch Informationen auf web Seiten wie "man spricht deutsch" oder "english spoken", erweisen sich dann vor Ort als Makulatur.

Ohne Ortskenntnis wird die Fischerei zur Glückssache. Häufig liegen aussichtsreiche Fliessgewässer oder Seen und Lagunen innerhalb privater Farmen. Der Zugang ist durch Einzäunung mit verschlossenen Gattern versperrt. Nur die kundigen Fischereiführer erhalten Zutritt. Oft bezahlen sie eine Gebühr oder ein Bestechungsgeld an die Aufseher für die Benutzung interner Farmwege. Obwohl in Chile jeder mit einer Fischereierlaubnis das Recht besitzt, an allen Gewaessern zu fischen, ist die Regelung des Zuganges unklar. Mehr und mehr greift deshalb die Praxis um sich, eine Gebühr für die Fahrt durch Privatgelände zu erheben. Im Nachbarland Argentinien ist dies schon seit Jahren usus.

Ein 4X4 Leihwagen kostet pro Tag zwischen 80 und 110 Euro. Die meisten Strassen sind nur Schotterpisten; die Entfernungen entsprechend zeitaufwendig. Wer in Coyhaique sein Feriendomizil errichtet, hat in einem Umkreis von 100 Kilometern unzählige Möglichkeiten. Neben der Fischerei in Seen und Lagunen mit "Monsterbrownies" bis zu acht Kilos, können in spring creeks, Bächen und Flüssen mit Trockenfliegen, Streamern und Nymphen Bach- und Regenbogenforellen erfolgreich befischt werden. Hier variieren die Gewichte zwischen einem halben bis zu vier Kilogramm. Alle Fische sind "wild trouts". Ein Besatz mit Setzlingen aus Zuchtanstalten findet nicht statt.

Richtige Ausrüstung zur richtigen Zeit

Die schönste und wettermässig beständigste Zeit liegt in der Regel zwischen Mitte Februar und Mitte März. Der Februar ist in Chile zwar der Feriemonat; die meisten Touristen zieht es aber an die Strände im Norden. Nur wenige Reisende besuchen den landschaftlich faszinierenden Süden ihres Landes. Eher trifft man nordamerikanische und europäische Besucher.

Mit einer 4 er und einer 6 er Rute von je 9 Fuss ist man zufriedenstellend ausgerüstet. Entsprechende floating und sink- tip Schnüre auf Rollen mit Ersatzspulen erleichtern die schnelle Umrüstung.

Wer den Lachsen nachstellen möchte, kann dies mit einer Zweihand- oder einer stärkeren Einhandrute tun. Alle auch an europäischen Gewässern fängigen Fliegen werden von den chilenischen Forellen angenommen. Eintagsfliegen, auch Mayflies, schlüpfen zahlreich in Stillwassern und Flüssen, genauso wie Köcher- und Steinfliegen. Flohkrebse und Egel (Leeches) sind Nahrungsquellen besonders zu Beginn der Saison. In dieser Zeit und zum Ausklang der Fischerei im Herbst sind Streamer erfolgreich. Wer allerdings glaubt, die Fischerei sei einfach und die Forellen wuerden auf alles beissen, was man ihnen vorsetzt, unterliegt einer Täuschung. Diese kampfstarken Salmoniden sind meistens ähnlich selektiv wie europäische Forellen aus Kreidefluessen. Man muss sie mit dem richtigen Muster verführen. Es ist eine Herausforderung für all unsere fischereilichen Kenntnisse. Aber das macht unsere Passion ja erst zu einem befriedigenden Erlebnis.
Das Drei Seen Öko System
Nachdem ich die achtziger Jahren in Argentinien und die Fischerei im Süden dieses herrlichen Landes geniessen durfte, verliebte ich mich in die prachtvolle patagonische Landschaft. Nach einer Odysee in den neunzigern, mit beruflichen Aufgaben in Brasilien, Genf, Zentralamerika und Madrid führte mich mein letzter Posten nach Santiago de Chile. So lernte ich die Fischerei durch jährliche Reisen in und um Coyhaique kennen. 
Die Landpreise dort explodierten zu Beginn des 21-sten Jahrhunderts. Einerseits entdecken immer mehr Ausländer die unberührte Natur, kaufen Farmen und lassen sich in dieser Region nieder; andererseits treiben Landkäufe des spanischen Energiekonzerns Endesa den Hektar-Preis in die Höhe. Chile benötigt für sein stetiges Wirtschaftswachstum zusätzliche Energie. Endesa will mehrere Wasserkraftwerke an den Flüssen Baker und Pasqua südlich von Coyhaique errichten; Projekte, die von Umweltorganisationen heftig bekämpft werden.
Schon bei meinem ersten Fischereiaufenthalt in Coyhaique führte mich mein Guide an den Pollux See.
Die kampfstarken Rainbows, die ich dort mit kleinen Nymphen zum Anbiss verführte, blieben fest in meiner Erinnerung. Der sieben Quadratkilometer grosse See liegt auf 750 Meter über dem Meerespiegel. Von Coyhaique und auch vom Flughafen Balmaceda, ist er mit einem SUV in 35 Minuten zu erreichen. Er bildet mit dem etwas höher gelegenen See Castor und dem auf 600 Höhenmeter angesiedelten See Frio ein geschlossenes Ökosystem. Der am höchsten gelegene Castor See, nur wenige Kilometer von der argentinisch-chilenischen Landesgrenze entfernt, entwässert in den Pollux See, der wiederum seinen einzigen Ausfluss in den Lago Frio ergiesst.
Der Lago Frio entwässert in den Simpson Fluss, bildet jedoch vor dessen Zusammentreffen einen sechs Meter hohen senkrechten Wasserfall, der einen Aufstieg wandernder Salmoniden unmöglich macht.
Es wird berichtet, dass zu Beginn des 20-sten Jahrhunderts befruchtete Eier von Regenbogenforellen aus Kalifornien in die drei Seen eingebracht wurden. Die genetische Reinheit dieses Stammes hat sich bis heute erhalten. Die Fische wachsen prachtvoll ab. Das Nahrungsangebot ist reichhaltig. Sie sind silbern wie Steelheads mit lachsrotem Fleisch und ähnlich kampfstark. Andere Forellenarten sind in diesen drei Seen nicht heimisch.

Erste persönliche Erfahrungen

Nun fische ich schon durchgängig die zweite Saison am Pollux See. Es ist die Verwirklichung eines Lebenstraumes, den ich mir durch den Bau eines gemütlichen Holzhauses direkt am Seeufer erfüllt habe. Die Bucht, an der es errichtet wurde, ist frei von Schilfrohr. Auch befindet sich der einzige Ausfluss des Sees in dieser Bucht. Da der sanft abfallende Seegrund den Schuhen festen Halt bietet, kann gefahrlos das gesamte Ufer watend befischt werden. Mein Sohn nennt das deshalb jugendlich respektlos die "Alt-Herren-Strecke". Ca. 20 Meter vom Ufer entfernt wird die Bucht auf ihrer gesamten Länge von einer drei bis vier Meter breiten Krautbank durchzogen. Ein paradiesisches Biotop für Köcherfliegenlarven, Flohkrebse und Kleinfische.

Zu Beginn der Saison sind die Krautbeete niedrig. Im Hochsommer reichen sie bis zur Wasseroberfläche. Die Wassertemperatur liegt zwischen 8 und 10 Grad Celsius und steigt selbst an mehreren kontinuierlichen Sonnentagen kaum über 14.

Im Laichmonat September der Regenbogenforellen sieht man die grossen Rogner und Milchner bei ihrem Liebesspiel in den Seeausflüssen. Derweilen kommen dann unverantwortliche Einheimische, meist Jugendliche, mit Lanzen und Mistgabeln und töten die auf ihr Laichgeschäft konzentrierten Fische. Anzeigen bei den für die Fischereiaufsicht zuständigen Behörden verstauben meist wirkungslos in den Akten.

Überhaupt ist die mangelnde Kontrolle der Angelfischerei in Chile durch die Aufsichtsorgane ein unerfreuliches Problem. Vermutlich besitzen die wenigsten einheimischen Angler eine Fischereierlaubnis. Fangquoten werden kaum beachtet.
An den Tagen der Monate Dezember bis Februar beobachte ich im Schnitt mindestens zwei Boote mit je drei Trolling Fischern auf dem See. Zurückgesetzt wird da nichts. Die grossen Drillingshaken verletzen die Forellen und die Wahrscheinlichkeit, dass abgekommene Fische verenden, ist entsprechend hoch. Schätzungen gehen von über 1000 Fischen aus, die auf diese Weise pro Saison dem See entnommen werden. Und das sind Regenbogen zwischen 45 und 60 cm, die zwischen zwei und über drei Kilo schwer sind. Für uns Fliegenfischer ein ärgerlicher Aderlass.

Vor etwa 12 Jahren hat ein nordamerikanischer Guide eine Lodge am See errichtet. Die "Campo Chile Lodge" wird nahezu ausschliesslich von Fliegenfischern aus den USA besucht. Da sie an einem mit Schilfrohr bewachsenem Ufer liegt, hat der Lodgebetreiber Stege für seine Gäste angelegt, die dann beim Schlupf der Köcherfliegen in den Abendstunden von den Holzstegen aus den seeseitigen Schilfrohrsaum befischen koennen. Für die Besucher der Lodge gilt striktes "catch and release". Belly Boats stehen dort auch zur Verfügung.

Ein begeisteter Fliegenfischer und Jäger, Chirurg am städtischen Hospital von Coyhaique, berichtet, dass vor ca. 10 Jahren die Durchschnittsgrösse der Fische über 60 cm betrug. Vier Kilo schwere Forellen seien in der Bucht nahezu die Regel gewesen. Heute sei eine Regenbogen von 45 cm bereits ein guter Durchschnitt. Die unkontrollierte Entnahmepraxis habe schon zu einer spürbaren Verringerung der Anzahl grosser Forellen geführt.

Die fischereiliche Praxis

Zu Beginn der Saison, im Oktober und Anfang November, erholen sich die grossen Rogner und Milchner von ihrem Laichgeschäft und verweilen zum Grossteil in den Zu- und Abflüssen der Seen, die durch die Schneeschmelze reichlich Wasser führen. Dort finden sie ein üppiges Nahrungsangebot. Erst wenn die Wasserstände sinken, ziehen die Fische zurück in den See. Mit der egg-fly konnten wir einige dieser Fische verführen. Da aber in diesen recht schmalen Fliessen kaum Raum für längere Fluchten dieser 3-4 Kilo Forellen besteht, reduziert sich der sonst so spannende Drill auf ein Wälzen der Fische an der Oberfläche im Niedrigwasser.

Ab Mitte November ist dann die Fischerei im See angesagt. Das Kraut ist niedrig und sink-tip Leinen mit kleinen unbeschwerten Streamern bringen manch schönen Fisch. Aber beim Drill merkt man schnell, dass die Forellen noch nicht in Top Form sind. Ich bevorzuge in diesen Wochen bis ungefähr Ende Dezember die Fischerei mit leichtem Gerät. 4er Rute, floating WF, Vorfach 3m mit Spitze von 0,20 und leicht beschwerter Sedge Nymphe. Da der Wind meistens von hinten bläst, sind Würfe von über 20 Meter kein Problem. Und da man ca. 15 Meter vom Ufer entfernt im Wasser watet, erreicht unsere Fliege die aussichtsreichen Stellen hinter der Krautbank. Der Biss kommt heftig und man merkt sofort, wenn ein guter Fisch die Nymphe genommen hat. Mehrere Sprünge sind die Regel, gefolgt von langen Fluchten.

Im Januar und Februar erwärmt sich das Wasser mit der Folge ausgedehnter Schlupfperioden sowohl von Eintags- als auch von Köcherfliegen. Leider wächst auch das Kraut in diesen Monaten beachtlich schnell. Und die Forellen scheinen zu wissen, dass sie bei Fluchten dorthin mit grösserer Wahrscheinlichkeit den lästigen Haken loswerden. Viele gute Fische habe ich auf diese Weise schon verloren. Daher gehe ich in diesen Wochen zu stärkeren Vorfachspitzen über und greife auch zur 6er Rute mit einer Multiplier Rolle. Sedge Pupa Imitationen, gefischt an floating oder intermediate Schnüren sind in dieser Zeit der Renner. Die Fische sind in Höchstform: pure Muskeln für spannende und langwierige Drills mit Sprüngen und mehrmaligen Fluchten weit ins backing.

Der März ist die hohe Zeit der Köcherfliege. Besonders in den Abendstunden bis zum Einbruch der Dunkelheit veranstalten die Forellen wahre Fressorgien. Ueberall um einen herum platscht und planscht es. Die typischen V-Wellen, die auf der Wasseroberfläche durch ans Ufer krabbelnde Köcherfliegen ausgelöst werden, lassen sich durch leichtes Ziehen an der Fliegenschnur nachahmen. Gefischt wird mit Rehhaar Sedges auf 12er Haken. Obwohl die Forellen nicht wie im Fliess feste Standorte haben, lohnt sich derweil der Wurf an eine Stelle, wo soeben ein Fisch aufgegangen ist. Oft verfehlt die Forelle nämlich das natürliche Insekt und wenn dann unsere Kunstfliege rechtzeitig den Ort des Geschehens erreicht, wird sie bedenkenlos genommen. Besonders reizvoll ist diese Fischerei bei Vollmond. Auch kann man in diesen Stunden statt einer nur noch schwer zu sehenden Sedge, einen schwimmenden kleinen Muddler Minnow oder eine Schaumstoffimitation, die als "Chernobyl Ant" bekannt ist, mit Erfolg fischen.

Der April, sofern er nicht zum "goldenen Oktober" wird, lässt Wasser- und Lufttemperatur bereits empfindlich sinken. Ungern fische ich mit Handschuhen aus Neopren. Zu oft flutscht mir beim Doppelzug die Schnur durch die Finger und der Wurf misslingt. Abgeschnittene Fingerkuppen sollen angeblich dieses Problem beheben. Aber dann kommt die Haut durch ständigen Kontakt mit der nassen Schnur zu ähnlicher Unterkühlung wie die Hand ohne Handschuh. Da setze ich mich lieber ins Auto und fahre an andere Gewässer, um mit Streamern oder Nymphen den Brown trouts nachzustellen oder versuche mein Glück auf die dann aufsteigenden Silvers im Rio Simpson mit seinen Zuflüssen.

Coyhaique - trotz allem ein Paradies!
 

Die Fischerei mit der Fliege an den Gewässern in und um Coyhaique scheut keinen Vergleich mit Eldorados aus Montana, Idaho oder Neuseeland. 
Im Gegensatz zu kanadischen Fischgründen gibts hier im Süden von Chile weder Bären noch lästige Mückenschwärme. Auch beim Klettern an steinigen Flussufern müssen wir nicht mit unangenehmen Begegnungen von giftigen Schlangen, Spinnen oder gar Skorpionen rechnen. Auch unter diesem Gesichtspunkt eine lohnende Fischerei, zu der ich alle nur ermuntern kann. Gerne berate ich jeden, der sich zu einer solchen Reise entscheidet.
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Ein Bericht von Helmut Wittelsburger für www.fliegenfischer-forum.de - Juni 2011.
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