Eldorado  |  von Gerhard Gräf 
In seltenen Sternstunden macht man einfach alles richtig. Ich hatte die Unkenrufer missachtet, die mir sagten, die griechischen Küsten seien völlig überfischt, und ich hatte dem inneren Schweinehund getrotzt, der mir sagte, dass eine Spinnrute vielleicht die bequemere Wahl für die Reise sei, wenn ich denn schon eine Angel in den Familienurlaub mitnehmen wolle. "Nein", hatte ich zu ihm gesagt: "Nicht ohne meine Fliegenrute!" Und mehr habe ich auch wirklich nicht mitgenommen...
Giorgios glaubte nicht an meine Fliege. Ich hatte es sofort gemerkt. Der knurrige Seebär! Alter Dickschädel! Gestern hatte ich ihn gefragt: „Next time we go fishing I take my fly rod with me, what do you think?“ „Ah, that will be difficult, very difficult!“ hatte er geantwortet. Abgelehnt aber hatte er es nicht, und das war alles, was ich wollte.

Vorgestern waren wir das erste Mal mit ihm zum Fischen raus gefahren, auf Goldmakrelen, oder Dorados, dolphin fish, wie sie die Engländer nennen. Wir fischten auf griechische Art. Nein, kein Dynamit: Ein Stein als Anker an einer langen Schnur im tiefen, glasklaren Wasser, oben ein Kanister oder eine alte Wasserflasche als Schwimmer. Daran eine vielleicht zwanzig bis vierzig Meter lange, monofile Leine, 1 Millimeter stark, eher mehr, mit vielleicht einem Dutzend oder mehr Springern, an die dicke Haken (2/0?) gebunden waren, die mit Oktopus- oder Fischstücken beködert wurden. Am anderen Ende und in der Mitte sorgten weitere Schwimmer dafür, dass die Köder in etwa gleich tief im Wasser lagen, so etwa 1-2 Meter unter dem Wasserspiegel. Nach einer Weile kam man zurück, um zu ernten. Das war recht effektiv, wenn man nicht zu spät kam, denn wenn zu viele Haken besetzt waren, machten die überaus kampfstarken und immens schnellen und kräftigen Fische mit der Leine, was sie wollten - eine drahtige Perücke zumeist - bevor sie sich wieder frei kämpften.

Fünf Fische hatten wir mit nach Hause gebracht, Giorgios, mein Sohn Leonard und ich, alle waren um die 60 Zentimeter groß gewesen, alle wunderschön mit ihrer langen, tiefblauen Rückenflosse, der schlank gepfeilten Schwanzflosse hinter der dünnen Schwanzwurzel, ihrer goldenen Färbung mit den blauen Punkten! Leider verblassen ihre kräftigen Farben sehr schnell, wenn die Fische an Land gezwungen werden. Und dann diese grotesken Köpfe, diese urigen Gesichter mit den tief herunter gezogenen Maulwinkeln und der hohen Kämpferstirn. Aber lecker waren sie, wir hatten schon vor einigen Tagen drei Dorados gegrillt (eine Sauce aus Olivenöl und erntefrischen Zitronen, abgeschmeckt mit Salz, wildem Thymian und Knoblauch) und zu siebt mit Mühe zum Abendbrot verspeist. Tags war‘s zu heiß für eine große Mahlzeit, und das jetzt, Mitte Oktober war schon vorbei!

Giorgios steuerte das schnelle Boot sicher aus dem Hafen. Es war Sonnenaufgang, noch war es frisch, die See ruhig, der Sonnenball rollte rasch über das tintenblaue Wasser. Giorgios schwieg, wie meistens. Seebären quasseln eben nicht. Ich montierte in Ruhe meine vierteilige 7/8er Rute, an das 30er Mono-Vorfach band ich mit einem Orvis-Knoten einen gut zehn Zentimeter langen Streamer mit schwarzer Decke, blauer Seite und weißem Bauch, vorne glänzte ein konischer Goldkopf =>
Wir fuhren in die übernächste Bucht, dort an der Steilküste lag Giorgios‘ Leine. Als wir näher kamen, sah ich, das die drei Kanister ganz nahe beieinander im Wasser schaukelten - nicht gut!
Missmutig schnappte Giorgios sich den ersten Knister mit dem Gaff, zog die verzwirbelte Leine ein. Da, ein Fisch war noch dran! Aber als der „Captain“ ihn an Bord heben wollte, nahm er seine letzte Chance wahr und entkam. Jetzt waren wir ohne Fisch und ohne Leine!

„Throw out this thing there! We go back now.“ Giorgios war nicht gerade glücklich über den verpatzten Fischzug! Ich warf meinen Streamer über Bord, zog etwas Schnur von der Rolle, und Giorgios schmiss den Motor an. Na gut, dann schleppten wir die Fliege eben, warum nicht. Hauptsache, er machte mit. Gut zwanzig Meter der Fliegenschnur waren draußen, wir fuhren ganz schön flott, ein bisschen zu flott, wie ich fand. Ich wusste noch nicht, wie schnell Goldmakrelen sind...

Der Streamer schießt jetzt knapp unter der Oberfläche durch‘s Wasser, wenn ich etwas anziehe, kommt er nach oben, wie ein Popper! Eine Minute geht das so, da - ein Schlag in der schlanken Rute, ein gleichmäßiger Widerstand. „Stop!“ schreie ich, „Fish!“ Das Boot stoppt, aber ist das ein Fisch? Kein Zappeln, kein Schlagen, ein gleichmäßiger Widerstand zerrt an der Schnur, wie ein Traktor, geht es mir durch Kopf. Ich kurbele ein, ziehe, kurbele. Langsam zieht die Schnur zur Seite, jetzt erst spüre ich ein Zucken, jetzt erst weiß ich sicher, dass das ein Fisch ist.

Er zieht in die Tiefe, schießt nach rechts und nach links, hat der Kraft! Eine halbe Runde um‘s Heck macht er, und noch eine, noch eine! Ich bekomme ihn immer näher ans Boot, Giorgios ist aufgesprungen, greift immer wieder nach der Schnur, aber der Dorado ist noch lang nicht müde! Jetzt hat er sie, holt ein, ein Ruck, schon ist der Fisch im Boot! Eine Goldmakrele, die ihres Namens würdig ist, pures Gold zappelt wie wild quer durch unser Boot, bevor der Skipper sie mit dem Fuß erwischt und mit dem Messer hinter die Kiemen sticht. Fast ist es schade um dieses schöne Tier!
„Out again!“ befiehlt Giorgios und zeigt auf meinen Streamer, bevor er das Boot wendet, er will doch noch nicht zurück - und er sieht schon viel zufriedener aus - lächelt er etwa?
Nach zwei nicht sehr großen Runden kommt der nächste Biß. Und dieses Mal ist alles ganz anders! Von Anfang an ist da eine maßlose Kraft am anderen Ende der Schnur, wild zerrt sie an der Angel, an meinen Armen. Der ist größer, denke ich, da schießt er auch schon hoch aus dem Wasser, überschlägt sich, schraubt sich höher - was für ein Sprung - doch so groß ist der „Dolphin“ gar nicht. Kaum im Wasser, kommt er wieder hoch, noch eine artistische Nummer, vier, fünf, sechs Mal springt er, ich habe alle Hände voll zu tun, den Kontakt zum Fisch zu halten. Woher nimmt der die Kraft?
„Wow!“ schreie ich, oder etwas ähnlich geistloses, aber für mehr ist keine Zeit. Ich bin ganz Auge, ganz Hände, Arme, ziehe, bremse mit der Handfläche an der Rolle, arbeite mit der Rute, alles muss schnell gehen, ich bin ganz Angler und ganz Fisch. Der zieht jetzt in die Tiefe, rasch greift Giorgios sich die rote „Wäscheleine“ er zieht den Fisch heran, wieder die griechische Landung, wieder wütendes Gezappel im Boot, wieder dieses unglaubliche Gold und dieses unfassbare Blau auf dem Bootsboden, und etwas Rot. Nun wirft auch Giorgios einen Köder an der Handleine aus, lässt einen archaischen Blinker hinter dem Boot auf den Wellen tanzen, doch wir müssen wirklich zurück in den Hafen, denn es wartet ein Fahrgast auf meinen griechischen Skipper, ein Wanderer, der in eine abgelegene Bucht gebracht werden will. Nichts beißt mehr auf der Rückfahrt.
„Next time you come we will catch more fish!“ wird er später sagen, mit einem breiten Lächeln auf seinem tiefgebräunten, salzgegerbten Gesicht.
Notiz: Goldmakrelen gehören in die Familie der Barsche, ihr Verbreitungsgebiet ist ein breites Band um den Äquator, und in das Mittelmeer kommen sie nur zwischen Hochsommer und Spätherbst, sie sind mehr im westlichen als im östlichen Mittelmeer zu finden. In den Tropen werden sie bis zu 40 kg schwer und bis zwei Meter lang. Mit bis zu 60 km/h Sprintgeschwindigkeit gehören sie zu den schnellsten Fische der Welt.

Ein Beitrag von Gerhard Gräf  für www.fliegenfischer-forum.de
Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten.

zurück zu Spanien, Frankreich, Griechenland  | zurück zu Reise & Report  | zurück zur Startseite
Copyright © 2009 | www.fliegenfischer-forum.de  |  DAS Fliegenfischen Online Magazin |  Kontakt