Ein Reisebericht von Clemens Ratschan
Von Norwegen nach Schwedisch-Lappland
Teil 1: Fjordfischerei und Aufstieg zu den Saiblingen
Eigentlich wollten Jakob und ich diesen Sommer eine seit vielen Jahren avisierte Expedition nach Nordsibirien umsetzen – im privaten Umfeld bot sich die vielleicht letzte Chance für eine so lange Unternehmung. Trotz monatelanger Vorbereitung und Hoffnung bis Anfang Juli durchkreuzte die Corona-Krise diese Pläne. Als Alternative überlegten wir kurzfristig eine Tour in die letzte große Wildnis Europas, nach Nordskandinavien. Doch auch dieser Plan drohte zu scheitern: Fieberkrämpfe meiner kleinen Tochter, wenige Tage vor Abreise mit der Motorsäge in den Fuß geschnitten – glücklicherweise nicht tief und gut verheilend – restriktive und sich laufend ändernde Reisebestimmungen auch der innereuropäischen Länder. Ein wochenlanges Auf und Ab zwischen neue Motivation aufbauen, Training fortführen, Frustration und Planung neuer Reiserouten. Bis sich Anfang August tatsächlich ein Fenster auftut, in dem sich die Grenzen nach Norwegen öffnen und auch die Möglichkeit einer unkomplizierten Rückkehr aus Schweden abzusehen ist.

Unsere Route soll die Befahrung eines Fjords, den Aufstieg ins baumlose Gebirge [schwedisch: Fjäll], und die Bewältigung einer abwechslungsreichen, insgesamt etwa 220 km langen Strecke über viele Seen, Flüsse und Marschetappen bis zur „Erzbahn“ im schwedischen Flachland verbinden. Wir starten im kleinen Dorf Kjöpsvik in der norwegischen Provinz Nordland, zwei Bus-Stunden südlich von Narvik. Dort angekommen beladen wir unsere Packrafts (Mini-Schlauchboote) mit Ausrüstung und Proviant für 3 Wochen Wildnis.

Hof nahe Narvik
Blick aus dem Bus nach Kjöpsvik
Schöne Rampe zum Einbooten
Jetzt geht’s los! 
Steiles Fjordufer
Steiler erster Lagerplatz
So paddeln wir entlang blanker Granitfelsen einige Stunden in den steilen Fjord. Die Hänge sind mit krummen Birken bewachsen, die sich am Wasser je nach Tide in ausgedehnten „Wäldern“ gelben Blasentangs fortsetzen. Froh über die Bewegung an der frischen Luft nach der langen Anreise mit Mund-Nasen-Schutz legen wir bis weit in die helle, polare Sommernacht eine lange Strecke zurück. Zeltplätze zu finden ist hier nicht einfach, wir müssen uns mit drei Quadratmetern halbwegs ebener Fläche begnügen. Nach kurzem Lagerbau stecken wir noch spätnachts unsere Ruten zusammen, neugierig, was wohl an den Haken gehen wird. Mit Begeisterung verfolgen wir eine Meerforelle, die sich gleich durch mehrere gewaltige Sprünge hintereinander verrät, nicht weit vom Ufer entfernt. Wie schön wäre es, so einen eleganten, kampfstarken Fisch am Haken zu haben! 

Jakob versucht es deshalb in Ufernähe vom Boot aus und fängt einen Pollack nach dem anderen, darunter ein großes Exemplar von mindestens 5 kg. Das war zwar die nicht die erhoffte Meerforelle, aber trotzdem ein beachtlicher Fang. Ich hingegen rücke mit einem Pilker aus und schon die ersten Durchgänge in einer Tiefe von rund 30 m bringen unmittelbar Fänge von Pollacks und kleineren Dorschen. Es bedeutet etwas Nervenkitzel, mit sich windenden, kernigen Fischen samt baumelnden Haken im dünnwandigen Schlauchboot zu hantieren. Unsere Packrafts haben nur eine Luftkammer, ein Loch wäre fatal.

Dicker Dorsch
Jakobs großer Pollack | Foto unten: Pollack, Tang und Napfschnecke
Einen Rotbarsch zu fangen stand schon länger auf meiner fischereilichen Wunschliste. Angeblich stehen die aber in Tiefen von ein- zweihundert Metern, sprich, sie wären nur mit Spezialgeräten erreichbar, die auf so einer Reise nicht mitgeschleppt werden können. Ich paddle Stück für Stück vom Ufer weg und sondiere, ob der Grund noch mit dem Pilker erreichbar ist. Offensichtlich setzt sich der enge Fjord äußerst steil in die Tiefe fort. Als ich nach einigen weiteren Dorschfängen auf etwa 30 m Tiefe wenige Paddelschläge weiter vom Ufer schon vielleicht 50-70 m erreiche, und der Schnurvorrat bedenklich schrumpft, passiert tatsächlich das Unerwartete. Nach einer halben Ewigkeit Hochkurbeln kommt so ein knallroter Geselle zum Vorschein, gefolgt von einigen weiteren. Durch die Dekompression drückt es den an die Oberfläche gedrillten Rotbarschen die Augen aus den Höhlen. Weil wir die wohlschmeckenden Barsche gleich verzehren wollen, werden sie getötet und am Ufer filetiert.
Kaum zu vermeiden, dass man sich dabei mit den Rückenflossenstacheln sticht. Das verursacht einen brennenden Schmerz, ähnlich wie beim in der Donau heimischen Schrätzer, aber schmerzhafter und durchaus mit einem Wespenstich vergleichbar. Die Natur liefert das Gegenmittel bereits mit – spritzt man die Flüssigkeit in den hervorgetretenen Augen der Rotbarsche auf die Stelle, so lindert das den Schmerz rasch (und besonders stark, wenn man stark daran glaubt). Abgesehen davon stellt die steile Beschaffenheit unseres Lagerplatzes die größte Gefahr dar. Tritte sind auf dem geschliffenen Fels Mangelware und zudem durch den allgegenwärtigen Tang verdeckt. Zu sehr verwöhnt vom ebenen Terrain des Wohnzimmers während des Lockdowns, muss die eine oder andere Salzwassererfahrung gemacht werden, um sich wieder bewusst zu werden, dass es hier draußen aufmerksam zu sein gilt!

Köstliche Rotbarsche für’s Abendessen

Starker Dorsch
Der Fjord weist eine Breite von etwa ein bis zwei Kilometer auf, ist also im Vergleich zum riesigen „Ewigkeitsfjord“ überschaubar, den wir bei unserer letzten gemeinsamen Reise in Grönland befahren haben (siehe Reisebericht 522). Aber auch dieser norwegische Fjord beeindruckt landschaftlich, und die Fischerei gestaltet sich wesentlich artenreicher. Neben den je nach befischter Tiefe gestaffelten Arten Pollack, Dorsch und Rotbarsch gelingen auch Fänge von pfeilschnellen Makrelen und eines weiteren Dorschartigen, dem Schellfisch.

Richtiges Fischfieber kommt auf, als bei einer Bachmündung eine große Meerforelle nur einen Meter vom Ufer auf Jakobs Blinker beißt, aber nach kurzem Schütteln abkommt. Leider ist sie zu keiner weiteren Attacke zu provozieren, springt aber noch mehrfach in der Mündungsbucht. Am Abend des zweiten Tages trauen wir den Augen kaum, als ein weißes, meterlanges Fabelwesen die Oberfläche durchbricht. Es muss sich um einen Belugawal handeln, wir verfolgen das faszinierende Tier einige Minuten lang vom Ufer aus und genießen so gut es geht die mystische Stimmung im Fjord. Das Regenwetter des Vorabends setzt sich fort, die niedrigsten Wolken hängen nur wenige hundert Meter über uns an den steilen Flanken der Berghänge und sorgen in Kombination mit den steil herabstürzenden Bächen für eine atemberaubende Kulisse, die wir trotz der zunehmenden Durchnässung zu schätzen wissen.

Blick über Blasentang in den nebelverhangenen Fjord
Heiße Stelle zum Fischen
Schmelzwasser vom Berg stürzt in den Fjord
Letzter Lagerplatz im Fjord
Der hintere Fjord wird immer enger
Am dritten Tag erreichen wir das Ende des Fjords, wo ein kleiner Fluss namens Austerdalselva einmündet. Eine beeindruckend schöne Stelle, es eröffnen sich trotz des miesen Wetters Blicke auf die umliegenden Berge mit unzähligen Schneefeldern und einigen Gletschern. Bei Flut springen in der Mischungszone wiederholt Salmoniden, wobei es sich aufgrund ihrer beeindruckenden Größe neben Meerforellen wohl auch um Lachse handeln dürfte. Um die riesige Fläche abzudecken, zerfurchen wir das Wasser vom Packraft aus mit schmalen Blinkern, leider ohne Erfolg. 

Das Lager errichten wir einen Kilometer flussauf im Fichtenwald, wo Schutz vor Wind und Regen und eine Versorgung mit trockenem Brennholz sichergestellt ist. Leider sind im glasklaren Bach keine aufgestiegenen Großsalmoniden auszumachen, es gibt lediglich einen etwa 40 cm langen Nachläufer zu berichten, den ich als Wandersaibling zu erkennen glaube.

Wir treideln den Austerdalselva hoch
Fischen im Austerdalselva 
Am nächsten Morgen entscheiden wir, aufgrund des schwierigen Geländes nicht mit dem gesamten Gewicht von trocken gut 40 kg, durch den Regen getränkt wohl deutlich mehr, Richtung Talschluss zu marschieren, sondern dieses in Hälften zu sortieren und in zwei Etappen hoch zu tragen. Der erste Gang gelingt durch vorhandene Pfade und Wildwechsel leichter als gedacht, sodass Zeit bleibt, am Abend noch einmal hinaus in den Fjord zu paddeln. Aufgrund des starken Windes gestaltet sich aber ein Befischen der Lachse als nicht mehr sinnvoll möglich. Die abwechslungsreiche Fischerei vom etwas besser windgeschützten Ufer bringt wiederum unzählige Pollacks, einige flinke Makrelen, und spektakuläre Licht- und Wetterphänomene.

Aprilwetter im August

Portrait einer Makrele
Schellfisch auf Blasentang
Flachstück mit perfekten Laichgründen für Lachs & Meerforelle
Auf dem Weg entlang des Wildbachs
Flechten und Pilze lieben 
die feuchten Bedingungen hier
Nach einer wegen des Sturms unruhigen Nacht (und einem nächtlichen Wechsel des Zeltplatzes aus Angst vor umstürzenden Bäumen) folgt die zweite Hälfte des Gepäcks. Wir schleppen es vorerst bis zum Zwischenlager nahe der Waldgrenze, wo wir das Zelt aufstellen, und dann den steilen weiteren Aufstieg in Angriff nehmen. Schon länger peinigen mich Sorgen, ob hier überhaupt eine gangbare Variante zu finden sein wird. Der Bach wandelt sich in eine Serie aus Wasserfällen, begleitet von riesigen Felsbrocken, die Talflanken bestehen aus steilen, grasigen Flächen und blankem, vom Gletscher glatt geschliffenen Fels. Durch den vielen Niederschlag sind die Hänge grün und dicht bewachsen, weshalb man die Steilheit im Vergleich mit den Alpen unterschätzt.
Das Zwischenlager liegt im Wäldchen in der Bildmitte
Vor der ersten Kletterstelle
An der südlichen Talflanke glauben wir eine machbare Linie erspäht zu haben, und quälen uns bis in den Abend hinein beim Aufstieg. In den Erlengestrüppen findet man etwas Halt, auch durch die hohen krautigen Fluren bahnen wir uns einen Weg und passen auf, den Nachgeher nicht durch Steinschlag zu gefährden. Durch den Dauerregen klitschnass und bis auf die Gebeine ausgefroren suchen wir weiter und überwinden einige Schlüsselstellen, die leichte Kletterei erfordern. Was angesichts des Gewichts auf dem Rücken und dem ungeschützten Fallraum in die Tiefe zu einer nervlichen Herausforderung wird. Aber wir wollen unbedingt noch heute klären, ob es überhaupt ein Weiterkommen bis über die Scharte zu den Seen nahe der Grenze zu Schweden gibt. Bei anhaltend miesem Wetter werden die Gedanken immer beklommener, werden wir die (einzig mögliche) Aufstiegslinie wiederfinden und den Abstieg zum rettenden Zelt schaffen? Wir errichten zur Markierung Steinmännchen, die angesichts der schlechten Sicht und der beim Rückweg anderen Perspektive als Wegweiser dienen sollen. Schließlich erreichen wir oben tatsächlich flacheres Gelände und verlieren keine Zeit – rasch leeren wir den Rucksack und verstauen die Packsäcke unter einem überhängenden Felsen, und dann nichts wie zurück.
Steilstück der Aufstiegsroute
Blick zurück zum Fjord
Schlüsselstelle
„Steinmännchen“ als improvisierte Wegmarkierung
Wieder unten im Lager dauert es eine Stunde, bis Wärme in die Extremitäten zurückkehrt, was sich durch den misslichen Umstand verschärft, dass der Schnaps schon zum Zwischendepot hochgetragen wurde. Ein Gefühl von „home sweet home“ funktioniert auch auf 3 m2 wunderbar, während Sturm und Regen auf die Zeltwand trommeln und der geschundene Körper von der wohlig warmen Daune des (noch) ziemlich trockenen Schlafsacks verwöhnt wird. Die Gedanken daran, die Tortur tags drauf wiederholen zu müssen, werden erfolgreich verdrängt. Genauso wie jene, in der Früh bei Kälte wieder in die nasse Hose, Socken und Bergstiefel schlüpfen zu müssen. Bei Schlechtwetter auf langen Touren ist sparsame Verwendung angesagt, damit nicht schon nach zwei drei Tagen die gesamte Bekleidung nass ist. Die Vorfreude auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen ist zu diesem Zeitpunkt bereits enorm und der bloße Gedanke daran zaubert uns ein Lächeln ins Gesicht. Stellt sich nur die Frage, wann es wohl so weit sein wird.

Das Nachtragen am nächsten Vormittag gelingt wesentlich besser als befürchtet, und wir erreichen schließlich den ersten See auf dem Hochtal, wo zusätzlich zum Dauerregen stürmischer Wind auf uns wartet. Wir sind überrascht, ein betoniertes Wehr, ein Maschinenhaus und eine Hütte vorzufinden. Offensichtlich wurde hier eine Überleitung errichtet, die den Abfluss über einen langen Stollen zu einem Speichersee ableitet. Was für eine Verhöhnung, dass die für Wartungsarbeiten gemütlich eingerichtete Hütte versperrt ist, für schnelle Nudeln bietet der Platz hinter dem Maschinenhaus zumindest Windschutz. Es bleibt keine Zeit, die gelungene Besteigung zu genießen, dafür ist es schlicht zu kalt. 

Nach einer raschen Querung des Sees per Boot tragen wir noch alles im Nachtlager nicht notwendige ein paar Kilometer Richtung schwedischer Grenze. Das Gelände hier im Gebirge besteht aus einem sich windenden System aus Seen, Wasserfällen, zerklüfteten Felsen und Altschneefeldern. Auf dem Rückweg vom Depot folgt eine weitere Lektion, die uns die Verletzlichkeit von Homo sapiens drastisch vor Augen führt. Es zieht dichter Nebel auf, und wir verlieren in dem äußerst unübersichtlichen Gelände fast die Orientierung. Ausgeschunden, wieder bis auf die Knochen durchnässt und bei Temperaturen wenige Grad über Null lässt uns der Gedanke schaudern, nicht zum rettenden Zelt zurück zu finden. Einige Vergeher später gelingt es, und wir verkriechen uns sehr dankbar in den wärmenden Daunen, von wo aus im Vorzelt gekocht und gegessen wird.

Aufbruch
Schwierige Wegstrecke im Hochtal
Altschneefelder und Wächten...
... im Hochtal
Urlandschaft im Hochtal

Tags darauf geht’s während eines kurzen Schönwetterfensters zuerst über einen teils noch gefrorenen See Richtung Osten, dann folgt eine kurze Trageetappe zum nächsten See. Der ist weißlich trüb und durch den vom Gletscher stammenden Schluff stark verlandet. Wir finden keine Hinweise, dass es hier Fische gibt. Am idyllischen Ausrinn kurz vor der schwedischen Grenze schlagen wir unser Lager auf, Fische auch hier: Fehlanzeige.
Längere Bootsetappe auf Bergsee
Im August noch teils gefroren
Endlich Schönwetter!
Portage zum nächsten See
Wolkenreste statt Dauerregen
Lager am idyllischen Ausrinn

Wildbach im Abendlicht
… und am nächsten Morgen. Leider fischleer!
Leichtes Wildwasser
Nudelpause zu Mittag
Auf der Suche nach Saiblingen
Die nächste Etappe besteht aus einem hurtigen Wildbach, der teils befahrbar ist, teils aus wilden Katarakten und Wasserfällen besteht, die umtragen werden müssen. Anschließend folgt eine weitere Seenkette, die schon sehr fischverdächtig anmutet. Intensive Fischereiversuche während der Mittagspause mit Trockenfliege, Nymphe und „allem was Gott verboten hat“ bringen aber nur ein paar Miniatursaiblinge. Wir entschließen uns, weiter zu einem etwas größeren See unterhalb eines sehenswerten Wasserfalls abzusteigen, wo es gute Saiblinge geben könnte. In einer der letzten Stromschnellen reißt sich Jakob auf einer Länge von fast 30 cm den Bootsboden auf und kämpft sich mit dem vollgelaufenen Boot ans rechte Ufer. Die Klebeaktion gelingt und das Packraft ist zum Glück am Tag darauf wieder voll einsatzbereit. Auch fischereilich gibt es Positives zu berichten: Wo der Wildbach in den See mündet fange ich noch am Abend der Ankunft einen herrlich türkis schimmernden, 48 cm langen Saibling mit schnittigen Proportionen, und ein paar weitere um die 35-40 cm folgen.
Weiteres Wildwasser
Ruonasjärvi, links im Hintergrund Sitasjaure

Einrinn des Ruonasjärvi
Blick zurück zum Wasserfall
Abendliche Fischerei
Starker Saibling mit schnittigen Proportionen
Herrlich türkise Flanken
Hier treffen wir das vorerst einzige Mal auf eine andere Menschenseele. Am anderen Ende des Sees steht ein Zelt und eine aus der Entfernung winzige Person, sodass ich zum Plaudern hin paddle. Der freundliche Schwede aus Gällivare ist per Motorboot auf dem großen Sitajsaure [Anm.: Jaure oder Javri heißt See in der Sprache der Sami] bis in die Nähe gefahren und hat seine Siebensachen zu diesem Bergsee hochgetragen, um hier ein paar Tage auf Saiblinge zu fischen. Bei vielleicht 6-7 °C Luft- und Wassertemperatur steht der Nordländer mit Sandalen im seichten Wasser und berichtet, dass der Sommer heuer ausgefallen ist. Versucht er, das mit sommerlichem Schuhwerk zu kompensieren?
Wieder auf Schusters Rappen
Lacke mit Schachtelhalmen
Sommerliche Mondlandschaft
Rentiere
In freudiger Erwartung, eine ganze Reihe größerer Seen zu erreichen, packen wir wieder unsere Rucksäcke und überqueren einen Bergrücken mit schöner Tundrenvegetation. Eingesprengte kleine Seen machen wiederholt Umwege notwendig. Unvergesslich bleibt der Moment, als wir den großen Kabtajaure erstmals erblicken – er rangiert unter den schönsten Plätzen die ich bisher gesehen habe. Herrlich eingerahmt zwischen Bergen mit einen dichten Mosaik an Altschneefeldern und Gletschern im Hintergrund liegt er vor uns. Sein Wasser leuchtet azurblau und ist dermaßen klar, dass man beim drüberfahren ein flaues Gefühl bekommt, ähnlich wie Höhenangst. Lässt man einen Stein in die Tiefe fallen, so sieht man diesen erst dann nicht mehr, wenn er zu klein geworden ist, nicht wie üblich wegen Dunkelheit oder Trübe. Mitten auf diesem großen See, der fast die doppelte Fläche des Mondsees aufweist, schwimmt ein Prachttaucher und stößt schaurige Rufe aus. Weil ansonsten Totenstille herrscht, nehmen wir die über Kilometer hallenden Töne als durchdringend laut war. Die Gegend hier oben wirkt ansonsten entwest, ob des schlechten Wetters sind die mit ihren Rufen die Tundra sonst so prägenden Vögel wohl schon in die Tiefländer abgezogen.
Auf dem Kabtajaure

Glasklarer Kabtajaure
Die Südseite des Kabtajaure besteht aus felsigen Vorsprüngen und kleinen Buchten, am Grund liegen Blöcke und Steinplatten mit bizarren geometrischen Formen. Im Seichten ist kein Schwänzchen zu sehen, und auch Ringe steigender Fische sind nicht auszumachen. Wir nehmen uns nicht viel Zeit und versuchen mit der Spinnrute festzustellen, ob in diesem extrem nährstoffarmen Gewässer größere Fische leben. Tatsächlich rappelt es nach allen paar hundert Metern schleppen, und wir können im Freiwasser einige schöne Saiblinge fangen. Am besten klappt es dort, wo bei Felsvorsprüngen Würfe vom Ufer in Bereiche mit großen Blöcken am Seegrund möglich sind. Es handelt sich um Saiblinge mit endständigem, großem Maul, so wie es für räuberische Freiwassersaiblinge typisch ist. Ähnlich wie in manchen Alpenseen kommen auch in vielen skandinavischen Seen mehrere Saiblingsformen („Ökotypen“) vor, die sich in entwicklungsgeschichtlich kurzer Zeit nebeneinander entwickelt haben. Beispielsweise zusätzlich in der Tiefe lebende, kleinwüchsige Formen, die sich vorwiegend von Bodentieren ernähren und typischerweise größere Augen und ein kleineres, leicht unterständiges Maul aufweisen. Ich finde am Kabtajaure ein tot an der Oberfläche treibendes, 25 cm langes Exemplar, das genau diese Merkmale aufweist. 
Spinnfischen gegen den Wind
Altes Boot der Samen
Schöner Saibling

Ein bulliges Exempar

Kleiner, tot gefundener Saibling mit riesigen Augen. Eine andere Saiblingsform?
Vergleich der beiden Saiblingsformen – man beachte die unterschiedliche Größe der Augen und des Mauls.
Am Ostende verengt sich der See und wird zu einem kilometerlangen, flach und träge dahinziehenden Ausrinn, den man vom Boot perfekt nach Fischen absuchen kann. Sieht eigentlich sehr heiß aus, wir strecken beim Drüberfahren die Hälse, aber erstaunlicherweise ist kein einziger Fisch zu entdecken. Offensichtlich bevorzugen die Saiblinge den tiefen See, aber wo stecken die Forellen oder Äschen? Die Antwort erfahren wir schon nach wenigen Kilometern. Der Seeausrinn wird sukzessive immer enger und steiler und entwickelt sich zu hurtigem II- bis IIIer Wildwasser. Eine schwierige Stelle können wir erst nach längerer Besichtigung mit viel Respekt befahren, eine andere muss umtragen werden. Nach einer Biegung schwindet der Horizont, folgt ein Katarakt? Seltsamerweise ist kaum ein Brausen zu hören. Wir paddeln rasch ans Ufer, gerade früh genug, denn schon beginnt der Abfluss zu schießen. Er stürzt über eine Kante und erreicht erst vielleicht 20 m tiefer ein tosendes Becken. Der wirklich spektakuläre Wasserfall weist eine so große Höhe auf, dass er schwer von oberhalb zu hören ist. Wie es aussieht kommen oberhalb dieser wohl schon seit zig Jahrtausenden bestehenden Barriere nur Saiblinge vor.
Umtragen des großen Wasserfalls
Auch unterhalb folgen noch Katarakte
Einrinn Mattajavri
Wir tragen unser Zeug am Fall vorbei den steilen Hang gleich bis zum nächsten See hinunter. Beim Einrinn finden wir einen wunderschönen Zeltplatz mit Kiesstrand und Feuerholz von krummen Weiden. Der Sonnenuntergang beschert ein goldenes Glühen des Gegenhangs und die Plackerei des Umtragens verleitet zu einem Sprung ins kühle Nass. Zu einem abschließenden Höhepunkt des wieder sehr erlebnisreichen Tages wird die köstliche Schwammerlsauce, die Jakob aus den gefundenen Rotkappen zaubert. 
Herrlicher Lagerplatz am Seeeinrinn
Abendrot am Mattajavri
Am Morgen herrscht Flaute, was endlich gute Bedingungen zum Fliegenfischen bietet. In geschützten Buchten beginnen Fische spitz zu steigen. Es dauert ein Weilchen, bis kleine schwarze Trockenfliegen Erfolg bringen, man kennt das ja: Die Fische steigen immer ein paar Meter außerhalb der Reichweite. Unsere Muster imitieren trefflich schwarze „Bibios“, die man häufig auf der Wasseroberfläche sitzen sieht. Zuhause liegt die Hauptflugzeit dieser als „Hagedornfliege“ bekannten Dipteren im April/Mai, hier in Lappland sind sie aber auch noch im Spätsommer aktiv. Wir fangen mit der Imitation wunderschöne, kämpferische Saiblinge mit orangen Bäuchen.
Endlich Fliegenfischen
Schon spritzt’s
Saibling auf Trockenfliege
Traumplatz mit Wasserfall im Hintergrund
Wie schon mehrfach erlebt, gibt es auf den steil eingefassten Seen hier nur zwei Extreme: entweder direkten Rücken- oder Gegenwind. Schon früh am Vormittag kommt die ungünstige Variante auf, sodass wir nur mit Mühe und kräftigem Paddeln den Ausrinn erreichen. Wieder folgt eine schöne Fließstrecke mit Wildwasser, und schon finden wir uns im riesigen Sitasjaure.
Treideln gegen den Wind
Blick zurück zum Wasserfall
Njuniseatnu, der Ausrinn des Mattajavri
Dieser natürliche, etwa 34 km lange See wurde zur Energiegewinnung ausgebaut und weist durch den Betrieb des Kraftwerks Ritsem (seit 1977), welches das Triebwasser durch einen 16 km langen Tunnel ableitet, große Wasserspiegelschwankungen auf. Etwas wehmütig erkennen wir, dass es fürs erste hier mit der unberührten Natur vorbei ist. Nun heißt es 9 km, also stundenlang, gegen starken Wind anzukämpfen. Teils fällt es leichter, das Packraft am Ufer entlang zu ziehen. Unfairer Weise flaut der Wind genau dann ab, als wir am Abend erschöpft die Samensiedlung am südlichen Ende erreichen, wo es auch eine Hütte des STF (Schwedischer Tourismusverein) gibt, ähnlich wie eine Alpenvereinshütte. 
Wir sind verwundert, dass der freundliche Hüttenwart erzählt, dass er das letzte Mal in den 1970er Jahren jemand mit einem Paddelboot aus den Bergen kommen sah. Auch damals waren es Österreicher, sie verwendeten ein Klepper Faltboot. Die Packrafting Welle ist offenbar noch nicht recht bis in dieses hoch gelegene Gebiet geschwappt.
Auf dem riesigen Sitasjaure
Interessantes Gestein am Sitasjaure
Alte (rechts) und neue (links) STF-Hütte am Sitasjaure


Teil 2: "Seen-Rallye und Äschenparadiese" - dieses spannenden Reiseabenteuers finden Sie hier:



Ein Reisebericht in zwei Teilen von Clemens Ratschan für www.fliegenfischer-forum.de - Februar/März 2021. Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten.
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