Besprechung / Fliegenschnüre:
Seidenschnur "Terenzio Sandri", Italien, DT 4 ¾
Seidenschnüre? Ist das nicht der totale Anachronismus in einer Zeit immer fortschrittlicherer Technik auch im Fliegenfischen? Nur was für Spinner? Für ewig Gestrige?

Weit gefehlt! Auch in der heutigen Zeit haben Seidenschnüre durchaus ihre Berechtigung, nicht nur in Kombination mit Gespliessten. Selbst moderne Kohlefaserruten lassen sich wunderbar mit einer passenden „Seide“ fischen. Und ihre einzigartigen Wurfeigenschaften und Haltbarkeit lassen einige Fliegenfischer daher wieder ganz bewusst wieder zur Seidenleine greifen.

Die Vorteile kurz zusammengefasst:
· Extreme Haltbarkeit, bis zu 20 Jahre und mehr (dadurch Relativierung des relativ hohen Anschaffungspreises)
· Einzigartige Wurfeigenschaften z.B. bei Wind (dünner Durchmesser bei hohem Gewicht)
· Extrem sanftes Ablegen und leichtes Abheben der Schnur möglich, wesentlich besser und unauffälliger als bei jeder „Plastik-Schnur“
· Absolut kein Memory-Effekt auch bei kleinsten Rollen
· Als Trockenschnur und Intermediate fischbar je nachdem ob man die Schnur fettet oder nicht

Nachteile:
· Leicht erhöhter Pflegeaufwand gegenüber Plastikschnüren (Trocknen nach jedem Fischen und neu einfetten; in der Praxis kaum die Rede wert)
· Wg. geflochtener Struktur lauter in den Ringen

· Schlechtere Schusseigenschaften als Kunststoffschnüre
· Höherer Preis (aber fast 10mal längere Haltbarkeit s.o.)
· Einwerfen notwendig: Seidenschnur muss einige Zeit eingefischt werden, damit sie geschmeidig wird

Im Langzeit-Test hatte ich die toll verpackte Seidenschnur des Italieners Terenzio Sandri (www.silkflylines.net) in DT 4 ¾ (!). Besonderheit von Sandris Schnüren ist, dass er ¼-Schnurklassen herstellen kann. Dadurch kann man seine Schnur exakt auf eine bestimmte Rute einstellen. Wie sinnvoll das ist sei dahingestellt (ich denke halbe Schnurklassen hätten es auch getan...), technisch ist es machbar.

Referenz für diesen Test sind die heute noch hergestellten, ausgezeichneten Seidenschnüre von Phoenix und Thebault. Diese gelten als Standard und finden weltweit aufgrund ihrer ausgezeichneten (Wurf-) Eigenschaften viele Anhänger.

Verpackung der Sandri-Seidenschnur
Tolle, klassisch-stilvolle Verpackung. Packungsinhalt: eine Flasche mit Schnurfett, Gebrauchsanweisung (auf pergamentartigem Papier incl. Siegel!), zwei Vorfächer, Seidenschnur. 
Leider ist das Innenleben aus eingefärbtem feinem Schaummaterial. Und das bröselt leider auf Schnur, Vorfach usw. Das Label der Fettflasche hielt auch keine 2 Tage. Gebrauchsanweisung leider nur auf italienisch. Zumindest eine englische Gebrauchsanweisung wäre vorteilhaft, genauso wie ein paar Infos mehr zur Historie, zur Schnur an sich, zum Gebrauch und der Motivation Seidenschnüre zu verwenden.
Alles nicht tragisch aber erwähnenswert.

Vorfächer
Beide hellgrün einfärbten Vorfächer sind zum Anschlaufen an die Seidenschnur selbst. Das Nylon-Vorfach wird an der zweiten Schlaufe befestigt. Die Seidenvorfächer rollen ganz hervorragend ab. Sicher mit die besten Vorfächer, die ich je verwendet habe. Leider nicht sehr schwimmfähig auch nach einfetten, so dass sie eher fürs Nymphenfischen zu verwenden sind.

Schnur
Hübsch sieht sie aus in der Verpackung, die strohgelbe, etwas stärker im Durchmesser als andere Seidenschnüre wirkende Sandri-Schnur.
Eine Eigenschaft fällt sofort beim Auspacken der Schnur auf: Im Vergleich zu den mir bekannten und von mir ausgiebig eingesetzten Seidenschnüre vor allem von Phoenix, weist die 

Sandri-Schnur eine wesentlich rauhere Oberfläche auf. Sie wirkt wie ein normales Dacron-Geflecht, das die Ex-Meeres- oder Karpfenangler unter uns aus grauer Vorzeit noch gut kennen. 
Sicher ist die Sandri-Schnur kein rohes Geflecht sondern mit irgendeinem Wirkstoff behandelt, jedoch lässt sie die glatte Oberfläche wie beispielsweise eine Phoenix-Schnur, vermissen (siehe Bilder zum Vergleich: oben die Sandri-Schnur, unten eine Phönix).

Dies hat verschiedene Nachteile, die sich auch im praktischen Einsatz als relevant erweisen:
1. hat die Schnur einen höheren Reibungswiderstand als andere, versiegelte Seidenschnüre. Sie schiesst daher schlechter und ist noch lauter in den Ringen
2. sinkt die Schnur schneller ab als andere Seidenschnüre, da sich in den Flecht-Zwischenräumen leichter Wasser festsetzt bzw. die Adhäsion besser ansetzen kann

Die Wurfeigenschaften sind wie auch bei anderen Seidenschnüren einzigartig. Hier ist kein merklicher Unterschied zu anderen Seidenschnüren festzustellen. Die Schnur lädt Ruten hervorragend auf, schneidet optimal durch den Wind, wirft aufgrund ihrer Masse auch schwerere Fliegen ausgezeichnet und lässt sich prima ablegen und wieder aufnehmen.
Memory ist wie bei jeder Seidenleine absolute Fehlanzeige. Selbst monatelanges Lagern auf Kleinkern-Rollen nimmt sie nicht übel und läuft schnurgerade wie am ersten Tag von der Rolle. Wer das noch nie gesehen hat, glaubt es nicht!

Wo die Sandri-Leine gegenüber anderen Seidenschnüren glänzt ist, dass sie, trotz ihres grösseren Durchmessers, sehr schnell eingeworfen ist. Nach ca.30-50 Stunden Fischen ist sie bereits „fertig“, d.h. geschmeidig genug für ein ganzes Fischerleben.

Preislich ist sie für eine Seidenschnur interessant, da die Naturseide bei Springforelle 158 Euro kostet. Phoenix und Thebault liegen etwas höher.

Haltbarkeit ist natürlich bei einer Lebensdauer von zu erwartenden 20 Jahren schwer einzuschätzen. Insgesamt macht die Sandri-Schnur aber einen robusten Eindruck und sollte keine Probleme machen.

Fazit:
Seidenschnüre sind sicher nicht für jedermanns Geschmack. Sicher ist aber, dass sie auch heute noch ihre Berechtigung haben. Ähnlich wie bei Gespliessten lohnt es sich diesen anachronistisch wirkenden, aber doch als Teil unserer Fliegenfischen-Historie nicht zu vergessenden Geräten einen echten Test zu gönnen. 
Die Sandri-Seide steht für meine Begriffe zwar „nur“ an dritter Stelle hinter Thebault und vor allem den Phoenix-Schnüren, ist aber insgesamt gesehen eine durchaus beachtenswerte, preislich interessante Alternative zu den etablierten hochpreisigen Seidenschnüren französisch-englischer und französischer Machart.
Eine gute Schnur also für jede Angelart. Wagen Sie es und testen Sie eine Seidenschnur! Auch mit ihrer Kohlefaser!

Bild oben: Seidenschnur = No Memory !
Bezug: www.Springforelle.de, Telefon: 0174 787 05 86.
Hersteller-Website und weitere Infos: www.silkflylines.net

Bericht und Fotos: Marcus Ruoff für www.fliegenfischer-forum.de. Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist nicht gestattet.


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