Doch halt, eine kleine Enklave tief im Süden der Republik leistet erbitterten Widerstand. Klein ist die Zahl der Aufrechten, doch umso stärker ihr Wille, das ethisch korrekte Fliegenfischen wieder zu dem zu machen, was es eigentlich sein sollte und darüber hinaus jedwede Rechtsbeugung unnachgiebig zu geisseln!
Dry fly upstream only! Und an gottgesegneten, wilden Gewässern, nur wenigen Privilegierten vorbehalten. Kollektives Fischrecht für alle? Wo kämen wir denn da hin.
Da lässt man sich doch von einigen wirr redenden Ostlern die Stimmung nicht vermiesen. Sollen sie doch lästern, drüben, in ihrer Parallelwelt!
Doch ungeachtet aller Reibereien macht sich eine große Zahl von Fliegenfischern in ganz Deutschland fein für das Wochenende. Für DEN Event des Jahres…
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„Theo, du könntest eigentlich auch mal graben!“ Gebückt und schnaufend hockt Torwald R. an diesem kalten Novembermorgen im dunklen, engen Tunnel. Seine Kopflampe wirft ein gespenstisches Licht auf die bärtige Gestalt, die mit Karte und Kompass ausgerüstet hinter ihm kniet. „Mein lieber Torwald, einer muß die Verantwortung tragen, und das kann ja nur ich sein. Also maul nicht rum, grab weiter, sonst sind wir Weihnachten noch nicht da.“ „Jaja ist ja schon gut. Aber ich finde, das ist ethisch nicht korrekt, was wir hier vorhaben!“
„Ich pfeif auf Ethik, ich will Rache“ knurrt Theo M. „Und hier kriegen wir sie alle auf einmal. Eine solche Gelegenheit bietet sich so schnell nicht wieder.“ Beim Anblick des zur dämonischen Fratze verzerrten Gesichts des Alten läuft Torwald R. ein kalter Schauer über den Rücken. „Wenn das mal gut geht!“ denkt er, dann nimmt er seinen alten Klappspaten und gräbt sich weiter durch das feuchte Erdreich im Hammer Hinterland.
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„Einmal vorsichtig bürsten, bitte!“ „Vorsichtig? Eigentlich darf’s bei mir schon ein bisschen fester sein.“ Ein kurzer Augenblick des Grübelns, dann lächelt der Grandmaster of ATSHO über diese schlagfertige, mit einem tiefen Augenaufschlag versehene Antwort der überaus attraktiven Reinigungsmitarbeiterin Jaqueline T. „Ich muß Sie enttäuschen, meine Liebe, mir geht es eher um meinen Zauberhut. Der sollte dringlichst sauber gemacht werden. Ein großes Treffen wartet auf uns, der Bewunderer sind gar viele da.“ „Na dann wollen wir doch mal sehen, was sich machen lässt. Wollen sie mir beim abrubbeln zuschauen?“ „Nichts was ich lieber täte!“
Wenige Augenblicke später stehen die beiden im Hinterraum der Reinigung. Mit geschickten Händen führt Jaqueline T. die weiche Bürste aus echtem Dachshaar über den grünen Filz. Spielerisch fährt sie danach mit dem Dämpfeisen über die Konturen. Nach kurzer Zeit erstrahlt der alte Spitzhut in nie gekanntem Glanz. Grünlich-blau schimmernd umspielt eine Korona den Saum des edlen Stückes. „Hervorragend gemacht, meine Liebe. Ich werde sicherlich mein edelstes Teil wieder einmal in ihre zarten Hände legen!“ Mit einer lässigen Handbewegung wirft er einige Stücke neuen Geldes in die Schale auf dem Tresen. Dann zaubert er eine kleine Schachtel feinster Pralinen aus seiner Manteltasche und überreicht sie der jungen Frau. „Für Sie! Herzlichen Dank und au revoir, meine Teure!“ Mit einem vollendet hingehauchtem Handkuß verabschiedet sich der große Meister von der schmachtenden Reinigungskraft. „Was für ein Gentlemen!“ denkt sie tief seufzend, während sie noch lange dem eilig davon strebenden, großen Mann mit dem interessanten Hut nachschaut.
Doch schon wenige Minuten später wird sie barsch aus ihren Träumereien gerissen als ein kleiner korpulenter Siegerländer vor ihr steht und eine speckige, mit grünlichen Pansenresten befleckte Wathose zur Reinigung abgibt.
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„Was brauch ich denn noch alles? Was soll ich denn nur mitnehmen?“ Fragend steht Eckat aus Hameln vor seinem Schrank, auf dem Bett neben sich liegt sein aufgeklappter Koffer. Seine letzte Reise liegt schon Jahre zurück. Damals war er mit den Jungs aus der Schule zur Wochenendfreizeit in der Jugendherberge in Ostrhauderfehn in Ostfriesland. Wie damals packt er zwei Garnituren Unterwäsche aus weißem Feinripp, drei Paar handgestrickte, braune Baumwollsocken, einen blauen Monteuroverall und ein Paar Gummistiefel in seinen kleinen Koffer.
Doch diesmal ist alles anders. Zu einer großen Feier ist er eingeladen, kaum ahnt er, was ihn dort erwartet. Vor seinem geistigen Auge erscheinen Bilder eines wilden Gelages, verängstigte Kellner tragen große Tröge mit dampfendem Schweinefleisch durch eine dunkle Gaststube. An den schweren Eichentischen sitzen gröhlende Männer, schwitzend stopfen sie Schweinefleisch und Klöße in ihre gierigen Rachen. Riesige Bierhumpen werden geleert, kaum dass einer ausgetrunken hat, wird ihm schon ein neuer Seidel kredenzt. Im Hintergrund steht ein großer Mann, der brüllend wie ein Hamburger Fischauktionator seine Devotionalien unters Volk streut. Angelruten, Rollen, Taschen, Westen. Nur von den bekanntesten Herstellern und teuersten Marken.
Ein durchdringendes Klopfen an der Haustür läßt Eckat erschreckt zusammenfahren. Als er öffnet, steht draußen der Postbote mit einem kleinen Paket. „Ah, darauf habe ich gewartet.“ Freudig erregt trägt er seine neue Errungenschaft ins Haus. Etwas später hält er einen 45er Colt mit schwarz brüniertem Lauf in den Händen. „Man kann ja nie wissen!“ denkt er, und verstaut das kalte Eisen zwischen den Feinrippunterhosen im Koffer.
In der darauf folgenden Nacht findet Eckat keine Ruhe. Immer wieder plagen ihn Angstattacken, wenn er an sein Reiseziel denkt: Hamm, Westfalen.
Eigentlich klingt es ja fast wie Hameln, aber doch liegen Welten zwischen dem verschlafenen niedersächsischen Eulenspiegelnest und der brausenden, niemals ruhenden Westfalenmetropole Hamm! Wird er seine Heimat jemals wieder sehen?
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Solche Nachdenklichkeiten kennt man in den nördlichen Gefilden unseres Landes nicht. Ohne große Hast verbringt man diverse Kisten Bier in die bereitstehenden Kombis. Man ist ja nicht das erste Mal auf dem Weg nach Hamm und kennt die Gepflogenheiten schon zur Genüge. Eine Zahnbürste und 4 Kisten Bier pro Nase. Mehr braucht man nicht.
Samstagmorgen, Raststätte Dammer Berge.
Einige sonderlich gekleidete Nordmänner stehen in Reih und Glied am Rand des trostlosen Parkplatzes und erleichtern ihre Blasen. Schnell wird an der Tanke mit ein paar hastig gegriffenen Sixpacks der Vorrat wieder aufgefüllt, dann geht die Fahrt weiter Richtung Süden. Bis Hamm ist es noch weit…
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„Bringst du mir bitte noch einen Whisky, meine Liebe? Ich muß meine Stimme ölen! ÖÖÖÖÖÖ---AAAAAAAA----IIIIIIIII-----RRRRRttttRRRRttt---Bruuuunssbütttel-Bruuuuuunsbütttttel---OOOOOOOOOOOO---OOOOOOOOOOOO---AAAAAAAAAAA---AAAAAAAAA“ Kopfschüttelnd betritt Frau M. das mit alten englischem Mobiliar versehene Arbeitszimmer ihres Mannes. Mit seinem neuesten Buch in der Hand steht Literaturpapst Frank M. vor seiner riesigen Bücherwand und macht Stimmübungen. „AAAAAAAAAAAA-OOOOOOOOOOO-UUUUUUUUUUU-IIIIIIII-pppppppppppppprrrrrrrrrrrt----ppppppppppppprrrt“
„Was hast du eigentlich vor?“ fragt ihn seine Frau. „Die ganze Woche bist du schon so aufgedreht.“ „Schatz, ich muß mich für meinen großen Auftritt vorbereiten. Ich gebe eine Lesung vor fast 100 Fliegenfischern. Ein äußerst kritisches und anspruchvolles Publikum. Da darf ich mir keinen Frosch im Hals erlauben! Die Kerle fackeln nicht lange. Ruckzuck finde ich mich auf dem Misthaufen wieder, da kennt man im Westfälischen keine Skrupel!“
Mit einer hastigen Handbewegung leert er das von seiner Gattin dargereichte Glas Whisky . „Ach, das musst du also auch üben? Ich dachte, das würdest du auch so beherrschen!“ Mit einem durchdringenden Blick straft Frank M. seine vorwitzige Gattin. „Bitte laß mich allein, meine Liebe, ich muß noch ein paar weitere Stimmübungen machen. AAAAAAAAAAAAAAAAAA—OOOOOOOOOOOOO---IIIIIIIIIIII---prrrrrrrrrt---Bruuuuuuuunsbüttttl------Bruuuuuuunsbüttl----OOOOOOOOOOOO“
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„Theo, ich kann nicht mehr“ Völlig ausgepumpt lässt sich Torwald R. in die feuchte Erde im Tunnel sinken. Die Batterie seiner Stirnlampe ist ähnlich ausgelaugt wie er, nur noch ein schwaches Leuchten entspringt aus der funzeligen Birne.
„Ich weiß ja auch nicht genau. Meinem Kompaß nach sollten wir schon längst unter dem Brauhof Wilshaus sein. „Wieder vergleicht er das Instrument mit seiner Karte. „Komisch, komisch!“ murmelt er. „Was hast du eigentlich da auf deinem Rücken baumeln?“ fragt er den halbschlafenden Torwald R. an seiner Seite. „Das? Ach, das ist nur mein Magnethalter vom Kescher, ich hab doch meine Fliegenfischerweste an!“ „MAGNETHALTER????“ Ein kurzer, erstickter Schrei entfährt dem fassunglosen Bärtigen.
10 min später geht bei der Polizeidienststelle in Bielefeld der Anruf eines besorgten Mitbürgers ein. Ein über und über mit Schlamm beschmierter Mann, verfolgt von einen brüllenden Bartträger, der ständig mit einem Klappspaten nach dem ersteren schlagen würde, sei soeben an seinem Haus vorbeigelaufen.
Ähnliche Anrufe werden an diesem Tag noch aus Oelde, Hamm-Uentrop und Gelsenkirchen-Buer gemeldet. Allerdings gelingt es der Polizei nicht, die beiden zu fassen.
Wenige Tage später wird man das erste Lebenszeichen der beiden in Form einer Schimpftirade auf die Unfähigkeit der westfälischen Behörden und das Versagen der politischen Klasse insgesamt im Forum einer völlig unbekannten kleinen Fliegenfischerseite finden.
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Unbeeindruckt von solchen Vorkommnissen haben sich mittlerweile 75 Fliegenfischer aus allen Teilen Deutschlands versammelt um friedlich und fröhlich das Ableben eines kleinen Schweinchens gebührend zu betrauern.
Was wird der Abend bringen, wie geht unsere kleine Geschichte weiter?
Wir werden es erfahren, wenn es vorüber ist, das 4. Treffen der Freunde des Fliegenfischerforums in Hamm. Und OLGA wird dann auch schon Geschichte sein.






