Fliegenfischen in und um Coyhaique
Ein Erfahrungsbericht aus Chile | Zweiter Teil
von Helmut Wittelsburger
Es war so gegen viertel zehn, als sich über dem See der Morgennebel lichtete. Die Sonne brach an einigen Stellen durch die Wolkendecke. Es versprach ein schöner Tag zu werden. Ruhig lag der See vor mir, ohne den sonst starken patagonischen Wind. Die Stimmung war herbstlich; das Thermometer zeigte unter 10 Grad. Ende Februar sollte auf der südlichen Halbkugel eigentlich Hochsommer sein...
Morgennebel am See
Andere Ufer - Neue Erfahrungen

Heute fische ich an einer Bucht am See, wo ich bisher noch nie gewesen bin. Zwar hatte ich mir für die Saison 2012/2013 fest vorgenommen, mit dem Motorboot neue Stellen zu entdecken; mein Außenborder streikte aber schon nach der ersten Ausfahrt und sprang nicht mehr an. Da ich die Fischerei vom Boot eh nicht mag und lieber watend vom Ufer den Forellen nachstelle, wird der See nunmehr zu Fuß oder wo möglich mit dem SUV erkundet.

Einige Ringe von steigenden Forellen konnte ich sehen. Die Fische waren durchaus in Wurfweite. Trotz intensiver Beobachtung war ich ratlos, welche Insekten sie nehmen. Also griff ich, wie meistens, nach einer beschwerten Nymphe oder einer mit Goldkopf. Gerne fische ich damit im See. Die Nymphe wird mal schneller, mal langsamer eingezupft bzw. eingezogen, die Wurfweite stetig verlängert und fächerförmig vom Standplatz beißfreudige Forellen in unterschiedlichen Tiefen gesucht. Mit der Trockenfliege fische ich im See ungern. Dort finde ich es eher langweilig, abwartend die künstliche Nachahmung mit den Augen zu verfolgen und zu hoffen, dass ein Fisch sie entdeckt und nach ihr steigt. Selbst bei bewegter Wasseroberfläche durch stetigen Wind, binde ich lieber eine Nymphe als eine schwimmende Fliege ans Vorfach. Anders als im Fließ haben die Forellen hier nämlich keine festen Standplätze. Und dies gilt besonders für die im Pollux See ausschließlich vorkommenden "Rainbows". In anderen Seen und Lagunen in der Nähe, die auch stattliche Bachforellen beherbergen, ist die Standorttreue bei dieser Salmonidenart eher vorhanden. Da lohnt es sich, mehrmals vorsichtig an die gleiche Stelle zu werfen und der Fisch, den man steigend oder im Mittelwasser fressend entdeckt, nimmt ohne vergrämt zu sein unseren Köder. Bei den Regenbogen gilt das mitnichten. Sieht man einen Ring oder den Rücken einer "buckelnden" Regenbogen, ist der Fisch meistens schon viele Meter von der Stelle entfernt, bevor man sie anwirft.

Kuh bringt Fisch

Nur knöcheltief stand ich im Wasser. Der Grund war kiesig. Nur ca. fünf Meter vor mir befand sich die Scharkante. Deutlich konnte ich  die Wasserpflanzen erkennen, die im Hochsommer fast bis an die Oberfläche reichen. Um nicht darin gleich beim ersten Wurf hängen zu bleiben, ließ ich die Nymphe nicht lange sinken und strippte sie schnell ein. Nach zehn bis zwölf erfolglosen Würfen in kurzer Distanz gab ich diese Taktik auf. Eine neugierige Kuh hatte sich hinter mich gestellt und ich erschrak sehr, als ich ihren Atem hörte.

Eine von denen stand hinter mir...
Sie erschrak noch mehr, als ich mich plötzlich umdrehte und sie mit einem lauten "ho ho" verjagen wollte. Sie kehrte daraufhin um und trottete langsam davon. Natürlich hatte ich in dieser Situation das Strippen aufgegeben. Die Nymphe musste also erheblich abgesunken sein. Und als ich mit meinen Augen meine schwimmende Schnur suchte und bis zur Spitze verfolgte, nahm ich ein schnelleres als normales Absinken wahr. Ich hob meine Rute an und war an einem Fisch fest.

Ein Toast auf Rainbows

Nun kenne und liebe ich diese wunderbaren, im Drill so phantasievollen Regenbogen aus dem Pollux See in der Nähe von Coyhaique. Meistens flüchten sie in einem ersten "run" in Richtung Seemitte, ziehen Backing von der Rolle, springen mehrmals hoch aus dem Wasser, wälzen sich danach an der Oberfläche und setzen ihren Kampf im tieferen Wasser fort. 

Rainbow-Drills im Pollux
Nur diese Forelle, die ich dank der Kuh gehakt hatte, verhielt sich völlig anders. Ich schritt einige Meter näher im See an die Scharkante heran. Und meine Rolle hörte gar nicht auf, sich abzuspulen. Vor meinen Füßen nahm der Fisch fast vertikal mehr als 40 m Schnur mit in die Tiefe. Die Forelle schien sich instinktiv dort unten sicherer zu fühlen. Jedes mal, wenn der Zug etwas schwächer wurde, pumpte ich mit stetiger Kraft den Fisch Meter um Meter fast vor meinen Füßen nach oben. Die sonst so lästigen Wasserpflanzen verhedderten sich glücklicherweise nicht in meinem Vorfach. Und so konnte ich eine wunderschöne, harmonisch abgewachsene Regenbogenforelle mit 53 cm nach ca. 10 Minuten sicher stranden. Es war die Dritte in dieser Saison, die ich entnommen habe.
Tieftauch-Rainbow mit 53
Sie hatte kaum etwas im Magen. Der Rogen war nicht total abgelaicht. Ihre restlichen Eier verkümmerten und waren dunkler gefärbt als in der Laichzeit. Das Fleisch war von rötlicher Lachsfarbe. Die Schöne landete in der Küche, wurde filetiert und als "graved Laks" angerichtet. Auf Toast mit frischem Zitronensaft und schmackiger Senfsoße eine köstliche Vorspeise.

Brooks in Argentinien

Ein wenig erinnerte mich dieser Drill an die zahlreichen Saiblinge, die ich in den achtziger Jahren in den Seen nördlich und südlich um Bariloche im argentinischen Patagonien gefangen habe. Auch diese Salmoniden kämpften in der Tiefe und wollten ungern an die Oberfläche. Im Vergleich zu den fintenreichen Fluchten der Regenbogen eine eher unspektakuläre Verteidigungsstrategie. Dennoch bieten sie an der tief geführten Nymphe einen schönen Sport am leichten Gerät. Besonders große "Brook Trouts" finden sich im Lago La Plata und Lago Fontana sowie in den argentinischen Seen weiter südlich. Dort erreichen sie Stückgewichte von drei bis vier Kilo. Die Saiblinge schmecken köstlich. Damals vor drei Jahrzehnten durften noch Fische aus Seen und Flüssen im argentinischen Patagonien entnommen werden. Heute gilt in Argentinien mehrheitlich "catch and release".

Catch & Release Bestimmungen in Argentinien
Durch diese Politik und ihre strenge Kontrolle durch die dazu ermächtigten "Rangers" steigt der Bestand an Salmoniden in den argentinischen Gewässern stetig. Für uns Fliegenfischer eine erfreuliche Entwicklung.

Gewässerschutz auf beiden Seiten der Anden

Allerdings war dies nicht immer so. Nachhaltigkeit und Schonung natürlicher Ressourcen setzt sich nur langsam im Bewusstsein der Menschen fest. Und je höher der Bildungsstand, desto schneller vollzieht sich dieser Wandel. Argentinien brauchte mehrere Jahrzehnte, um eine größere Sensibilität für den schonenden Umgang mit der Umwelt zu entwickeln. Im dortigen Patagonien hat Gewässerschutz und Gewässerpflege heute einen recht hohen Stellenwert. Mit dem Erwerb der Fischereilizenz erhält jeder eine detaillierte Broschüre von über 100 Seiten mit Auflistung nahezu aller Gewässer im argentinischen Patagonien, den darin vorkommenden Fischarten, den erlaubten Angelmethoden, der Erwähnung von Schongebieten und -strecken, fly-only Gewässern, Schonzeiten, Mindestmaßen, Angaben über die Zulassung von Booten mit und ohne Motor auf Seen und Flüssen - und sogar ethische Verhaltensregeln!
 
 

Inhaltsverzeichnis Fischereibestimmungen Argentinien =>

Wie oft schwärmten die argentinischen Fliegenfischer-Freunde seinerzeit von den Möglichkeiten auf der chilenischen Seite der Anden. Der Rio Pescado, ein größerer Bach, der in den Lanquihue See in der Nähe von Puerto Varas einmündet, war ein Mekka von Fliegenfischern aus aller Welt; ähnlich wie die Flüsse Bueno, Calcurupe, Petrohue, Maullin und andere. Der Rio Pescado war berühmt für den Laichaufstieg im hiesigen Herbst von "landlocked" Coho Lachsen, die in Stückgewichten bis zu 6 kg einen herrlichen Sport an der Fliegenrute boten. Die Flüsse und Seen um Osorno, Puerto Montt, Puerto Varas, La Union, Puerto Octay waren voll großer Browns und Rainbows und so manch reisender Fliegenfischer erfüllte sich dort seine Fischerträume.

<= Puerto Montt und Umgebung

Heute ist diese landschaftlich reizvolle Gegend mit schneebedeckten Vulkanen und unzähligen Flüssen, Bächen, Seen und Lagunen nahezu leergefischt. Stationäre Forellen von über 40 cm sind selten geworden. Die mangelnde Einsicht der Fischer und Angler, dass auch Fischbestände nachhaltig gesichert werden müssen, die fehlende Kontrolle der Angelfischerei durch die zuständigen Aufsichtsorgane, die ständige Verletzung von bestehenden Bestimmungen über Fangquoten, Mindestmaße, Schonzeiten insbesondere durch einheimische Fischer, haben auch dazu geführt, dass der Angeltourismus in dieser Gegend abnimmt. Mehrere auf reisende Fischer spezialisierte Unterkünfte stehen zum Verkauf. Allerdings verzeichnen die in den Pazifik in dieser Gegend mündenden Flüsse eine jedes Jahr besser werdende Fischerei auf Kings, Cohos, Steelheads und auch Salmo Salars. Der Grund dafür ist das off-shore Lachs Farming. Chile ist mittlerweile zweitgrößter Exporteur von gezüchteten Salmoniden hinter Norwegen. Jedes Jahr entweichen aus den Käfigen unzählige Exemplare, die ihrem natürlichen Laichinstinkt folgen und zunehmend aus dem Meer in die Flüsse aufsteigen.

Tiefer im Süden

Heute ist Coyhaique das Mekka der Fliegenfischer in Chile. Die Hauptstadt der XI. Region ist mit modernen Flugzeugen in zwei Stunden von Santiago de Chile ohne Zwischenstopp zu erreichen. Sie liegt rund 800 km südlich von Puerto Montt und bietet alles, was wir Fliegenfischer uns wünschen: Guides, teure Lodges, preisgünstige Unterkünfte, Fachgeschäfte für unsere Ausrüstung, Supermärkte, Mietwagen und vor allem unzählige Gewässer in atemberaubender Landschaft mit nahezu allen Salmonidenarten in Größen und Gewichten, von denen die meisten nur träumen (siehe auch meinen Reisebericht Chile "Fischen in und um Coyhaique" im FF-Forum).

Fragwürdige Entscheidungen

Aber auch in diesem Paradies übertrumpft Gewinnstreben die Nachhaltigkeit. Im Februar und März 2012, den wichtigsten Monaten für Dienstleistungen an fischenden Touristen, hatten Protestbewegungen mit Forderungen für bessere Lebensbedingungen durch Straßensperren in der Region zu Versorgungs-Engpässen und Benzinknappheit geführt; Randalismus radikaler Gruppen verursachte Stornierungen bei Lodges und Guides. Entsprechende Verdienstausfälle waren das politische Argument gegenüber der staatlichen Aufsichtsbehörde für das Fischereiwesen, man möge als Kompensation die Fischereisaison 2012/2013 statt Anfang Oktober schon Anfang September eröffnen. Zwar haben Bachforellen zu dieser Zeit ihr Laichgeschäft beendet; die Regenbogner jedoch mitnichten. 
Dem Petitum einflussreicher Kreise von Lodgebesitzern und Outfittern entsprach die Aufsichtsbehörde, was kein gutes Licht auf Nachhaltigkeitskriterien dieses Amtes wirft. Abgesehen davon, dass kaum ein ausländischer Fischer eine geplante Reise nach Coyhaique deswegen vorverlegt und der Angeltourismus schon im September einsetzt, hatte diese Entscheidung jedoch erhebliche Auswirkungen für das Laichgeschäft der Regenbogenforelle. 

Es sprach sich schnell unter einheimischen Anglern aus der Stadt Coyhaique herum, dass nunmehr in den Zu- und Abflüssen der nahegelegenen Seen die großen Rogner und Milchner auf alles beißen, was ihr Liebesspiel stört. Allein am Ausfluss des Pollux Sees fischten täglich fünf bis sieben Personen, die alle ihre Fische, trotz "catch & release Vorschriften, entnahmen.

Einheimische Blechbüchsenfischerei
Selbst in der Nacht wurde mit Scheinwerfern den Großforellen nachgestellt. Mit Stiefeln bekleidet zerstörten durch Waten einige Angler Laichgruben. Obwohl eine Schotterstraße am Ausfluss vorbeiführt, auf der alle zwei bis drei Tage eine Patrouille der Polizei entlangfährt, wurde kein einziger Angler auf Einhaltung der Bestimmungen kontrolliert. Zu vermuten ist, dass keine dieser Personen eine Angellizenz besitzt. 
Das Laichstrecken einem grundsätzlichen Fischereiverbot unterliegen sollten, hat sich in Chile noch nicht durchgesetzt. Wie einfach wären Hinweistafeln und spontane Kontrollen mit der Festsetzung der dafür vorgesehenen Strafen.

Ausfluss Pollux =>

Den Schaden spüren wir Fliegenfischer schon jetzt. In dieser Saison haben meine Freunde im See noch keine Forelle über 60cm gefangen. Noch vor vier Jahren waren es drei bis fünf in dieser Größenordnung für jeden von uns. Und die nunmehr fünf Monate alten Brütlinge sind unserer Beobachtung gemäß weniger zahlreich als in vergangenen Jahren.

Nach wie vor paradiesisch

In einer Region mit nur 100 Tsd Einwohnern auf 100 Tsd qkm und unzähligen Gewässern kann sicher nicht von einem hohen Befischungsdruck gesprochen werden. Dass aber um die Stadt Coyhaique und um die zweitgrößte Kommune Aysen herum die umliegenden Fischereireviere einen besonderen Schutz benötigen, sollte den Verantwortlichen in den staatlichen Behörden bewusst sein. Die Entwicklung in Argentinien mit dem jährlich an Bedeutung zunehmenden Fischereitourismus zeigt, wie wichtig nachhaltige Bewirtschaftung und verantwortungsvolles Fischereimanagement ist. Falls Chile hier den Anschluss halten will, ist eine striktere Anwendung bestehender Bestimmungen von Nöten. Noch ist es nicht zu spät. Es sind ja nicht die ausländischen Gastfischer, denn die verhalten sich mehrheitlich weidmännisch und bestimmungskonform, sondern es sind die einheimischen Bewohner, die durch ihr wenig nachhaltiges Bewusstsein die Zukunft dieses Fischereiparadieses gefährden.

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist die XI. chilenische Region für uns Fliegenfischer ein Eldorado. Die großartigen und gewaltigen Flüsse Futaleufu, Yelcho, Palena, Cisnes, Mañihuales im Norden mit ihren stationären und wandernden Salmoniden sowie die unzähligen Seen, Lagunen und Flüsse südlich von Coyhaique mit den großen stationären Browns und Rainbows um Cerro Castillo, den Flüssen Ibañez, Murta, Tranquilo, Engaño, Leones, Baker, Cochrane auf dem Weg am zweitgrößten See Südamerikas, dem Lago General Carrera entlang, bieten unvergessliche Erlebnisse und Sternstunden für unsere Leidenschaft. Und wenn jemand von einer Pirsch auf Salmoniden träumt, die noch nie eine künstliche Fliege gesehen haben, eröffnen die Gewässer um Villa O´Higgins eine jungfräuliche Fischerei. 
Das wichtigste, was der reisende Fliegenfischer benötigt, ist allerdings Zeit. Nur ein Aufenthalt in dieser faszinierenden Landschaft von drei bis vier Wochen lohnt die lange und strapaziöse Anreise aus Europa. Ich kann nur jeden aus unserer Zunft dazu ermuntern.

Lago Pollux, Coyhaique, Ende Februar 2013
Prof. h.c. Dr. Helmut Wittelsburger
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Leser-Service:
Helmut Wittelsburger kennt die Region seit vielen Jahrzehnten, jedes Jahr lebt er von Oktober bis April in Chile. Die Fliegenfischer-Forum-Redaktion vermittelt gerne den Kontakt zum Autor. Einen weiteren im Fliegenfischer-Forum erschienenen Reisebericht (2011) vom Autor finden Sie hier: Fischen in und um Coyhaique / Erster Teil
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Ein Bericht von Helmut Wittelsburger für www.fliegenfischer-forum.de - März 2013.
Das unerlaubte Kopieren und Verbreiten von Text- und Bildmaterial aus diesem Bericht ist verboten.

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